Eine Betrachtung dieses Zeitpunkts und welches Erbe wir hinterlassen, gesehen durch die Augen des Großvaters und spirituellen Lehrers Llewellyn Vaughan-Lee.
Was ist das für eine Welt, in die du gehst, und welche Landschaft wirst du deinen Kindern und Enkelkindern hinterlassen? Wird sie lebendig mit der Wahrheit der ERDE sein oder nur voll von falschen Versprechungen der Technologie und den Verzerrungen der Sozialen Medien? Welche Erzählungen werden dich leiten und welche Gemeinschaften dich unterstützen?
Statt um das Feuer sitzend uns Geschichten zu erzählen, zu lachen und Gemeinsamkeit zu fühlen oder über den Gartenzaun mit unseren Nachbarn zu schwatzen, leben wir vielmehr vom Körper getrennt in wabernden online-Communities und werden mit Bildern und Tweets vollgestopft, die nach unserer ständigen Aufmerksamkeit verlangen und mit denen die Internet-Unternehmen Geld machen. Die Sozialen Medien, die einst versprachen, uns auf neue Weise zusammen zu bringen, erzeugen stattdessen immer mehr Gespaltenheit, halten uns in einem Wirbel der Täuschungen, Lügen und Verschwörungstheorien gefangen und drängen uns noch weiter aus dem Gleichgewicht, indem sie die Leute in ein dunkles Labyrinth aus Misstrauen locken, gespeist von Computeralgorithmen und Clicks.
Wir scheinen in einem seltsamen Miasma aus Trolling und Cancel Culture, Clickbaits und Memes festzustecken. Die Sozialen Medien haben eine Welt der alternativen Fakten geschaffen, der Narrative, die offenbar aus einem toxischen Feld der Falschinformationen entstehen, geteilt werden wollen, retweeted, bis sie sich, wirklicher Substanz entbehrend, wieder in unserer dunklen kollektiven Imagination auflösen. Sie haben sogar ihre eigene Mythologie erschaffen und nennen sich selbst „Kraken“, eine vielarmige Gestalt aus der Nordischen Mythologie, die aus den Tiefen auftaucht und Schiffe verschlingt.
Ist das die Welt, die dir versprochen wurde? Als ich in deinem Alter war, 18, habe ich andere Geschichten geglaubt, deren Magie heller war und deren Täuschungen weniger Gefahren bargen. Ich nahm am ersten Glastonbury-Festival in England teil, nahe dem geheimnisvollen Tor, der für die alte Tradition der Druiden und für König Arthurs mystisches Avalon steht. Wir studierten die Ley-Linien, die Energiestruktur der ERDE, um die unsere Vorfahren wussten. Wir hatten das Gefühl, dass hier, gleich beim Tor, unsere Träume von der ERDE magnetisiert und wahr werden würden. Wir waren naiv und beseelt, lehnten die materialistische Kultur unserer Eltern ab, glaubten, dass freie Liebe, Musik und Meditation die Welt verändern und wir mit Tanzen und Chanten Frieden bringen könnten. Das war eine andere Geschichte, der Mythos eines Neuen Zeitalters. Es gab kein Internet und keine Sozialen Medien, um diese Botschaft zu verbreiten, aber sie ging von einer Person zur anderen, von Lied zu Lied und feierte das einfache Mantra: „All you need is love“.
Damals gab es Wunder, wir waren vor Freude ergriffen, wenn die Sonne rund durch den Morgennebel drang. Fremde waren Liebende und Freunde. Wir teilten Träume und Essen, braunen Reis und geschmortes Gemüse. Natürlich waren wir idealistisch. Der Vietnam-Krieg sollte sich noch vier weitere Jahre hinziehen, es folgten Völkermord in Bosnien und Ruanda, Syrien wurde durch einen Bürgerkrieg mit hunderttausenden von Toten zerstört. Aber für einen Moment gab es diese Samen einer Zukunft, die immer noch wartet – eine aus Liebe und Einheit geborene Zukunft und ein spirituelles Erwachen, das alle erfassen würde. Womöglich wird dieses Erwachen der Welt als ein Traum bleiben, ein für einen Augenblick vernommenes und dann verlorenes Lied, untergegangen in dem Lärm der zahllosen Stimmen und unaufhörlichen Anforderungen unserer Tage. Vielleicht kann es auch lebendig werden, wie ein Frühling, der nach einem trostlosen Winter des Vergessens wieder Einkehr hält, die Musik der Schöpfung, die wieder zu hören ist, die aller Existenz angehörende Einheit, die in den einfachen Freuden des täglichen Lebens aufscheint.
Das ist die Erzählung, auf die ich weiter für dich hoffe, dieses Wunder, das darauf wartet, ins Dasein zu treten. So viele Lügen sind verbreitet, so viele Muster der Täuschung in unser Bewusstsein eingewoben worden, die unseren Geist und unsere Emotionen verschmutzt haben. Anstelle von Träumen, die sich wie die Songlines der Aborigines ins Dasein gebären, sind wir in Albträumen gefangen, die jetzt unser fragiles Netz des Lebens zerstören. Eine der grundlegendsten Lügen unserer gegenwärtigen Lebensweise ist der Mythos des Materialismus: Je mehr „Zeug“ wir haben, desto glücklicher werden wir. Um diesen Mythos zu verwirklichen, müssen die Menschen zu „Konsumenten“ werden, deren Leben dem Profit der Konzerne gewidmet ist, auch wenn eben diese Konzerne Ökozid betreiben und das uns erhaltende Ökosystem zerstören. Und obwohl einige Politiker und Unternehmen jetzt vollmundig von „grünem Wachstum“ reden, wagen sie es nicht, sich dem grundsätzlichen Irrtum von endlosem ökonomischem Wachstum unabhängig von ökologischer Nachhaltigkeit zu stellen.
Es gibt Erzählungen, die uns unterstützen, und Erzählungen, die uns zerstören. Der Samen der Hoffnung, den ich gefühlt hatte, als ich in deinem Alter war, hat unserer Generation Kraft gegeben. Aber wir waren naiv. Wir wussten nichts von der kommenden Klimakatastrophe, von steigenden Meeresspiegeln und Artensterben. Wir brauchten nicht aufzuschreien wegen einer Zukunft, die man uns stiehlt, wegen Wildblumenwiesen, die wir nicht mehr sehen, wegen Korallenriffen, die weiß wie Skelette werden. Du gehörst einer härteren Zeit an, jungen Leuten, die bereit sind, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen und Verantwortung für die Verweigerungen und die Tatenlosigkeit der vorangegangenen Generation zu übernehmen. Zu sehen, wie junge Menschen für eine Zukunft protestieren, die sie womöglich nie kennen lernen werden, bringt eine tiefe Saite in einem zum Schwingen – wie viele Generationen werden verloren werden, bevor wir zur ERDE zurückkehren? Oder, einfacher gesagt, wie lange wird es dauern, bis wir zu den Werten zurückkehren, die das Leben unterstützen, die anerkennen, dass alles Leben, alle Schöpfung heilig ist? Nicht nur die Menschen, auch die Schmetterlinge und Spinnen, die Felsen und Flüsse, die Wiesen und Wälder, die Algen und Pilze.
Bringen wir unser Bewusstsein wieder zu diesem ursprünglichen Gewahrsein zurück, dieser einfachen Wahrheit, die unsere Vorfahren kannten und ehrten, wird der Frühling wiederkommen. Wie dieser Frühling erwachen wird, welche Knospen aufblühen und welche Bäume Frucht tragen werden, hängt von unserer Haltung und unseren Handlungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ab. Wer die ERDE als ein einziges, organisches, vernetztes lebendes Wesen erkannt hat, kann diesen Wandel unterstützen, kann die inneren Flüsse des Lebens rein halten, auf dass sie das nähren, was ins Leben kommen soll. Neugeburt geschieht immer aus der Dunkelheit, wie bei den Samen im Boden oder den Initiationskammern der alten Mysterienkulte. Doch diese Dunkelheit kann voll der für die Neugeburt notwendigen Nährstoffe sein, und Erdreich, das öd daliegt, kann mit Liebe und Fürsorge gehegt werden.
Liebe Enkelin, ich weiß nicht, was deine Träume sind oder wo sie dich hinführen werden. In was für einer Welt werden deine Kinder und Enkelkinder ihre ersten Schritt tun und ihre ersten Worte sprechen? Was für eine Magie wird für sie lebendig sein, was für Geschichten wird man ihnen erzählen und welche alten Bücher werden sie lesen? Werden sie immer noch in den Sterbetagen einer alten Ära gefangen sein, in dem Ödland dieser Zivilisation, oder wird die Luft sauber sein, werden die Wasser klar fließen und die Lügen und Verzerrungen lange vergessen sein?
Ich kann nur hoffen, dass du wieder das Lied des ersten Tages vernehmen kannst, jener magische Moment, als unser Bewusstsein zum ersten Mal das Wunder erfuhr, lebendig zu sein. Als du sehr jung warst, hast du in diesem Garten gelebt und Zauber funkelte in der Luft um dich herum. Auf meinem Schreibtisch steht noch immer ein Foto von dir aus dieser Zeit, das mich daran erinnert, wie unsere Welt neu war. Das ist die Erzählung einer einfacheren Zeit, als die Menschheit noch jung war und das Göttliche eine fühlbare Präsenz überall in der Luft wie die erste Süße des Frühlings. Da war ein Wissen gegenwärtig, das jetzt tief verborgen ist – ein Wissen um die heilige Bestimmung der Schöpfung, um ihre Schönheit und ihr Wunder. Und dieses Wissen erwachte zum Leben und sprach zu den Menschen in all den zahllosen Stimmen der Welt rundum, in den Flüssen und Stürmen, in den Rufen der Vögel und anderer Tiere in der ersten Sprache des Lebens. Der Ökologe David Abrams beschreibt, wie „für die Inuit wie für viele andere Völker Menschen und Tiere ursprünglich dieselbe Sprache sprachen.“ Er zitiert eine Inuit-Frau: „Alle sprachen dieselbe Sprache. Es war die Zeit, als Worte magisch waren.“ Es war die Freude des Lebens, die mit uns kommunizierte, ein Gebet ohne Worte, so einfach und freudig, wie wenn ich am nahegelegenen Strand entlang gehe und beobachte, wie die Pelikane in die Wellen eintauchen.
Das ist „am Anfang“ der Geschichte, als man noch nicht nach dem Göttlichen zu suchen brauchte, denn SIE war einfach eine lebendige Präsenz, als jeder Atemzug und jeder Traum als heilig empfunden wurde, als es eine Verwandtschaft gab, die alles einschloss, jede Pflanze und jeden Stein, jeden Fluss und jeden Baum. Da wurde alles in seinem wahren Wesen erfasst, und jeder Grashalm, jedes Tier und jeder Mensch wusste um seine Zugehörigkeit. Und hier, in dieser Welt konnten sich das Menschliche und das Göttliche begegnen und über das Wunder dessen, was ist, sprechen, und Geist und Materie kannten überhaupt keine Trennung.
Später begann sich alles zu verändern, und das ist die Geschichte der menschlichen Evolution, der Mythos vom „Sündenfall“ und die Anfänge der Religion als ein Weg, zu dem zurückzukehren, was verloren gegangen war, ein Weg, diese essenzielle Beziehung freizulegen, zu offenbaren. Damals veränderte sich auch die Erdmagie und hörte auf, eine einfache Feier zu sein – ein Rufen oder Singen des eigenen Namens – während allmählich, über Jahrtausende hinweg, der GEIST sich in die inneren Welten zurückzog und Himmel und Erde sich trennten. Und die Muster der Verzerrungen, die die ERDE vereinnahmen, wurden stärker und stärker, bis wir uns heute in einer Welt wiederfinden, die ihren Weg verloren hat, die immer mehr aus dem Gleichgewicht trudelt. Und in der Tragödie einer Zivilisation, die dabei ist, das fragile Netz des Lebens zu zerstören, das uns alle hält.
Es ist leicht, die magische Welt als Märchen aus der Kindheit oder alte Geschichten abzutun. Brauchen wir doch mehr als je zuvor exakte Wissenschaft, die uns sagt, dass CO2-Reduzierung und der Verlust an Biodiversität unsere drängendsten Anliegen sind. Und ja, wichtige Arbeit muss getan werden, um unseren industriellen Fußabdruck zu minimieren und die Erde von den Schäden zu heilen, die wir ihr zugefügt haben. Doch wenn wir unserem Bewusstsein nicht die rationalen Scheuklappen abnehmen, wie können wir dann auf das tiefere Gebot des Augenblicks antworten und anerkennen, dass wir zu einer Welt gehören, in der Geist und Materie nicht getrennt sind, sondern zusammen singen – was unsere Vorfahren längst wussten, die auf heiligem Boden gingen und zu den Geistern des Landes sprachen und sangen und für sie tanzten.
Wollen wir uns von dem derzeitigen Narrativ der Trennung lösen, müssen wir uns wieder dem zuwenden, was die Basis ist, und unser Bewusstsein mit der lebendigen ERDE verbinden statt nur mit Ihrem physischen Ökosystem – Ihre Biodiversität fördern, Feuchtgebiete und urwüchsige Orte wiederherstellen – , also mit Ihrer magischen Natur, mit Ihrer heiligen Präsenz. Sonst leben wir nur einen Bruchteil unserer Bestimmung und behandeln die ERDE weiter wie einen Gegenstand. Verwandtschaft mit der ERDE und all Ihren Bewohnern bedeutet nicht allein, mit den Füßen auf den Boden zu kommen, sondern die Begegnung von Seele zu Seele. Das ist die Songline, die wir brauchen, um eine neue Erzählung in die Existenz zu träumen.
Liebe Enkelin, du hast eine kaputte Welt übernommen, und doch weiß ich, dass du auch in dem Garten gelebt hast, zugegen in der multidimensionalen Welt, die dein Erbe ist. Du bist geboren worden, damit du das Land singen, die Bäume und Flüsse sprechen hörst und in die Stille horchst, die immer gegenwärtig ist. Du bist aus Sternenstaub und auch aus Träumen geboren und du trägst diese Qualität des Lichts, diesen Tanz der Möglichkeiten. Du bist nicht mehr an diese alten Geschichten gebunden, keine im Exil Lebende im eigenen Land. Du bist Teil dieses Erwachens, gehörst zu seinem Lied. Du wirst wissen, wie neue Fäden in den Teppich des Lebens zu weben sind, aber dennoch fühlst, was uralt und wahr ist. Und du wirst deinen Kindern und Enkelkindern das tiefe Wissen weitergeben, das schon in dir ist.