Das interspirituelle Zeitalter steht im Zusammenhang mit unserem erwachenden Sinn für eine allseitige Verbundenheit, der tief in dem Bewusstsein der Einheit, der wir alle angehören, seinen Ursprung hat. Dieses Wissen von der Einheit allen Seins, von dieser göttlichen Einheit, die uns allen gemeinsam ist, war den Mystikern und spirituell Praktizierenden seit jeher vertraut, aber jetzt beginnt es sich im kollektiven Bewusstsein der Menschheit herauszubilden. Wir bewegen uns von einer Ära der Aufspaltung in eine Ära der Einheit, zu dem Bewusstwerden der Einheit und des „Interseins", des Miteinander-Verwobenseins aller Schöpfung, wie es in dem wunderbaren und numinosen Bild von Indras Netz aus der Tradition des Mahayana Buddhismus dargestellt ist:
„Hier wird das Universum als unendliches Netz gesehen; wo immer die Fäden sich kreuzen, ist jeweils eine helle, leuchtende Perle, in der sich all die anderen Perlen spiegeln und die wiederum von ihnen gespiegelt wird. Jede Perle ist ein individuelles Bewusstsein - sei es von einem Menschen, einem Tier, einer Pflanze, einer Zelle oder einem Atom - und so verursacht eine Veränderung in einer Perle, wie klein sie auch sein mag, eine Veränderung in all den anderen Perlen, wobei jede einzeln wie auch auf das Ganze reagierend ist." (1)
Wesentlich in diesem Erwachen zur Einheit und ihrem lebendigen wechselseitigen Verbundensein ist das Gewahrwerden, in wieweit wir ein unabdingbarer Teil des Ökosystems des Planeten sind. Wir können es uns nicht länger leisten, in der Newtonschen Ära der Aufspaltung zu bleiben, die die Welt als etwas von uns Getrenntes sieht, als eine Ressource, die man nutzt und ausbeutet, um unseren materialistischen, von den fossilen Brennstoffen befeuerten Lebensstil aufrecht zu erhalten. Außerdem legt der Wechsel von der Newtonschen Weltsicht zu einer auf den Entdeckungen der Quantenphysik basierenden Sehweise nahe, dass nicht allein unsere Handlungen, sondern auch unser Bewusstsein die Welt der Materie unmittelbar beeinflussen. Wir sind auf Weisen mit diesem Planeten verbunden, die wir gerade erst zu erkennen beginnen.
Da wir uns am Rand des Abgrunds von Klimawandel, Artensterben und anderen Auswirkungen des fortgesetzten Ökozids befinden, besteht ein lebensnotwendiges Bedürfnis, diesen Wechsel zur Einheit zu vollziehen und wieder zu lernen, wie wir in Harmonie mit dem Ganzen leben können, mit dem wir so allseitig verbunden sind. Wir können es uns nicht leisten, unser gegenwärtiges selbstzerstörerisches Verhalten fortzusetzen, das auf den „Umkipp-Punkt" des ökologischen Ungleichgewichts mit unvorhersehbaren globalen Auswirkungen zusteuert.
Viele reagieren auf diese Krise - als Einzelne und in Gruppen - mit Ideen und Aktionen und versuchen, das kollektive Augenmerk auf unseren unhaltbaren materialistischen Lebensstil zu lenken und aufzuzeigen, in wieweit er zur Umweltzerstörung, zur rasant zunehmenden Verschmutzung von Böden, Luft und Wasser und zum Artensterben beiträgt. Und doch gehört leider ein Großteil dieser Reaktionen der Denkweise an, die dieses Ungleichgewicht hervorgerufen hat: der Überzeugung, wir seien getrennt von der Welt und sie sei etwas „da draußen", ein Problem, das wir zu lösen hätten.
Wollen wir die Ursache unserer jetzigen Notlage beseitigen, müssen wir unser Gewahrsein für die wechselseitige Verbundenheit von Geist und Materie zurückgewinnen. Wir dürfen nicht länger in einem Bewusstsein verharren, das Physikalisches und Spirituelles trennt: Wir müssen zu einem Wissen zurückkehren, das um deren Einheit und dynamisches wechselseitiges Miteinander weiß. Das sich gerade entwickelnde Gebiet der „Spirituellen Ökologie" versucht dieses hochwichtige Thema mit Blickrichtung auf die spirituelle Natur unseres derzeitigen Desasters zu erkunden. Wir können nicht die Welt heilen oder zu einem Zustand des Gleichgewichts zurückkehren wollen, ohne das Heilige in der Schöpfung wiederzuerwecken.
In vielen Glaubensrichtungen befasst man sich vermehrt mit der Thematik der Umwelt und setzt sich für ihren Schutz ein, indem zum Beispiel unsere Rolle als Verwalter und Treuhänder von Gottes Erde hervorgehoben wird. Während sich der religiös orientierte Umweltschutz auf die heiligen Schriften und die Theologie stützt, ist die Spirituelle Ökologie jedoch eine neuere Umweltbewegung, die die Notwendigkeit für einen eher auf spirituellem Bewusstsein statt auf religiösem Glauben basierenden Ansatz betont. Die Personen, die diese Betrachtungsweise zum Ausdruck bringen, können sehr wohl einen religiösen Hintergrund haben, aber ihre ökologische Vision entspringt ihrer eigenen lebendigen spirituellen Erfahrung. Der Unterschied zwischen der spirituell orientierten Ökologie und einer religiösen Einstellung zur Ökologie lässt sich vergleichsweise darin sehen, wie die Interspirituelle (2) Bewegung über die Interreligiöse (3) und den religionsübergreifenden Dialog hinausgeht, um sich auf die wirkliche Erfahrung spiritueller Prinzipien und Praktiken zu konzentrieren. Entsprechend erforscht die Spirituelle Ökologie die Bedeutung dieser erfahrbaren spirituellen Dimension in Bezug auf unsere gegenwärtige ökologische Krise.
Diese aufkeimende Bewegung hat es sich zur Aufgabe gemacht, unsere Aufmerksamkeit auf die Welt als ein lebendiges spirituelles Wesen zu richten, das jetzt in großer Qual ist. Die Erde schreit nach uns und schickt uns durch Erdbeben, Tsunamis, Fluten, Stürme, Dürren und nie gekannte Hitzewellen Zeichen ihres extremen Ungleichgewichts. Thich Nath Han (4) nennt das die „Glocken der Aufmerksamkeit", die unser Bewusstsein aufwecken und dahin lenken sollen, wo es in diesem Moment gebraucht wird. Wir können es uns nicht mehr leisten, unsere spirituelle Praxis in Abgeschiedenheit auszuüben. Es geht nicht mehr nur um uns, um unsere innere Übung, sondern um das größere Ganze, von dem wir ein Teil sind. Wir werden gebraucht, auf den verzweifelten Ruf der Erde zu antworten.
Auch wenn wir offen sein sollten für die Vorhersagen der Wissenschaftler, ist die Welt jedoch kein Problem, das es zu lösen gilt; sie ist ein lebendiges Wesen, zu dem wir gehören. Die Welt ist Teil unserer selbst, und wir sind Teil ihrer leidenden Ganzheit. So lange wir nicht zur Wurzel gelangen, nämlich zum Bild unseres Getrenntseins, kann es keine Heilung geben. Und dieses kommt von viel tiefer als die Newtonsche Wissenschaft und die Aufklärung, denn es liegt in unserem Vergessen der Heiligkeit der Schöpfung, die auch unsere eigene Heiligkeit ist. Als unsere westliche monotheistische Kultur die vielen Schöpfergottheiten unterdrückte, die heiligen Haine zerstörte und Gott in den Himmel verbannte, hat ein Zyklus angefangen, der uns in einer des Heiligen beraubten Welt zurückließ, und zwar in einem Zustand, der für jedes indigene Volk unvorstellbar wäre. Die Menschen, die die Weisheit der natürlichen Welt bewahren, wissen, dass die geschaffene Welt und all ihre vielen Bewohner heilig sind und zusammengehören. Unsere Abtrennung von der natürlichen Welt hat uns zwar die Früchte der Technologie und Wissenschaft ernten lassen, aber wir haben dadurch jegliche instinktive Verbindung zur spirituellen Dimension des Lebens verloren - die Verbindung zwischen unserer Seele und der Seele der Welt, das Wissen, dass wir alle Teil eines lebendigen spirituellen Wesens sind.
Diese Ganzheit ist es, die jetzt inständig nach uns ruft und unsere Antwort braucht. Sie braucht von uns, dass wir unsere Wurzel und unsere Verwurzelung wiedergewinnen: unsere Beziehung zum Heiligen in der Schöpfung. Nur von dem Ort heiliger Ganzheit und Verehrung aus können wir die Aufgabe des Heilens beginnen, können wir die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen.
Wir können nicht zur Einfachheit einer indigenen Lebensweise zurückkehren, aber wir können uns bewusst werden, dass sich unsere Handlungen und unsere Haltung auf individueller Ebene sehr wohl global auf die Welt, die innere wie auch die äußere, auswirken. Wir können lernen, nachhaltiger zu leben, uns nicht in unnötigem Materialismus zu verfangen. Wir können auch lernen, das spirituelle Ungleichgewicht der Welt zu heilen: Unser individuelles Gewahrsein des Heiligen in der Schöpfung hebt die Spaltung von Geist und Materie in unserer eigenen Seele und in der Seele der Welt wieder auf. Mehr als wir wissen, sind wir mit dem spirituellen Körper der Erde vernetzt.
Wir alle werden unsere eigene Weise entwickeln, diese Verbindung zu leben, diese ursprüngliche Achtsamkeit für unser Verwobensein mit der Erde. So gibt es zum Beispiel ein einfaches Gebet für die Erde, bei dem wir, während wir innerlich an Gott denken, die Welt als lebendiges Wesen in unserem Herzen halten. Wir werden uns in unserem Herzen des Kummers und Leidens der Welt gewahr und bitten, dass göttliche Liebe und Heilung dahin fließen mögen, wo Not ist, und dass auch dann, wenn wir damit fortfahren, die Welt so schlecht zu behandeln, die Macht des Göttlichen uns und der Welt helfen möge, die Erde ins Gleichgewicht zurückzubringen. Wir müssen uns darauf besinnen, dass die Macht des Göttlichen größer ist als die all der multinationalen Konzerne, die nicht aufhören, die Welt zu einem Ödland zu machen, und sogar noch viel stärker als die Kräfte des globalen Konsumterrors, der dem Planeten den Lebenssaft aussaugt.
Manchmal ist es leichter, diese Verbindung zu fühlen, wenn wir die Erde in unseren Händen spüren, wenn wir im Garten arbeiten und uns um die Blumen und das Gemüse kümmern. Oder wenn wir kochen, das Gemüse zubereiten, das uns der Boden geschenkt hat, und die Kräuter und Gewürze ans Essen geben, die den Geschmack erhöhen. Oder beim Liebesakt, wenn wir unseren Körper und unsere Seligkeit mit unserem Geliebten teilen, fühlen wir vielleicht die Zärtlichkeit und Kraft der Schöpfung und dass ein einziger Funke Leben hervorbringen kann. Dann kann unser Akt des Liebens ein unmittelbares Geschenk an das Leben sein, eine vollständig empfundene Erinnerung an die Ekstase der Schöpfung.
Die göttliche Einheit des Lebens ist in uns und überall um uns herum. Manchmal können wir, wenn wir allein in der Natur gehen, ihren Herzschlag und ihre Wunder fühlen, und unsere Schritte werden zu Schritten des Erinnerns. Die einfache Praktik des „auf heilige Weise Gehens", bei der wir mit jedem unserer Schritte die Verbindung mit der heiligen Erde spüren, ist eine Möglichkeit, sich mit dem lebendigen Geist der Erde wiederzuverbinden.
Es gibt so viele Wege, sich wieder mit dem Heiligen in der Schöpfung zu verbinden, nach innen zu horchen und die Erde in unsere spirituelle Praxis, in unser Gewahrsein und in unseren Alltag einzubeziehen. Das einfache Wunder einer Morgendämmerung kann in sich selbst eine Darbringung sein. Oder wenn wir bei Tagesanbruch dem Chor der Vögel lauschen, erfahren wir vielleicht diese tiefere Freude des Lebens und erwachen zu seiner göttlichen Natur. Des Nachts können uns die Sterne an das erinnern, was grenzenlos und ewig in uns und in der Welt ist. Wie auch immer wir zum Staunen, zum Erkennen des Heiligen gebracht werden, wichtig dabei ist stets die Haltung, mit der wir uns auf diesen innigen Austausch einlassen. Denn durch das Herz entsteht die wahre Verbindung, auch wenn wir sie zuerst über unsere Füße oder Hände schaffen. Fühlen wir wirklich, wie wir Teil dieses wunderbaren und leidenden Planeten sind, und spüren wir seine Not? Dann wird diese Verbindung lebendig, ein lebendiger Strom, der aus unserem Herzen fließt und alles im Leben umfasst. Dann wird jeder Schritt, jede Berührung zu einem Gebet für die Erde, ein Erinnern an das, was heilig ist.
Unsere gegenwärtige ökologische Krise ruft nach uns, und es ist an jedem von uns, darauf zu antworten. Da gilt es in der äußeren Welt zu handeln, aber dieses Handeln muss aus der Wiederverbindung mit dem Heiligen kommen - sonst konstellieren wir nur erneut die Muster, die dieses Ungleichgewicht geschaffen haben. Und da gilt es, Arbeit in unserem Herzen und unserer Seele zu leisten, die grundlegende Arbeit der Heilung der Weltseele, des Wiederauffüllens der spirituellen Substanz der Schöpfung. Das ist eine Möglichkeit für die Menschheit, wieder ihre Rolle als Hüter des Planeten zu erfüllen und Verantwortung für das Wunder und Mysterium dieser Welt, für ihre heilige Natur zu übernehmen. Mit den Worten von Wendell Berry:
„Die Fürsorge für die Erde ist unsere älteste und würdigste und letztlich unsere erfreulichste Verantwortung. Unsere einzige Hoffung ist, liebevoll zu hegen, was von ihr übrig ist, und ihre Erneuerung zu fördern."
Fussnote
(1) Siehe Jules Cashford, „Gaia and the Anima Mundi", in Spiritual Ecology, hrsg. von Llewellyn Vaughan-Lee. Erscheint im Juli 2013
(2) http://en.wikipedia.org/wiki/Inter-spiritual/
(3) http://en.wikipedia.org/wiki/Interfaith
(4) http://en.wikipedia.org/wiki/Thich_Nhat_Hanh