Übersetzung des englischen Artikels:
Fire Season
Wir durchstanden den Winter der Pandemie, trugen Masken, versteckten uns vor unseren dunkleren Ängsten. Und dann kam der Frühling – rosa Apfelblüten, weiße Birnenblüten. Die Glyzinie ergoss sich lavendelblau über den Gartenschuppen, und der Jasmin wuchs als leuchtend weiße Wand und füllte die Abendluft mit Süße. Dies war eine andere Erzählung, die der jährlichen Wiederkehr und so herbeigesehnt, weil der Garten dann mit Farben und Düften lebendig wird, im Gemüsegarten die ersten Salate zu ernten sind und die Tomatensetzlinge für späteres Pflücken eingepflanzt werden. Und der Kalifornische Mohn bemalt die Wegränder mit Orange und Gelb, und wilde Rosen säumen in Rosa die Straßen. Wie sehr haben wir dieses Jahr auf den Frühling gewartet, und wie stark hat er das tiefe Gewebe unseres Daseins angerührt, indem er uns daran erinnert, was entsteht, wie Samen zu Pflanzen werden, zu Blumen oder zu Gemüse.
Aber etwas fehlte, sogar als ich beobachtete, wie das gefleckte neugeborene Rehkitz auf wackeligen Beinen zusammen mit seiner Mutter das hohe Gras draußen vor dem Gartentor fraß. Die Regenfälle sind ausgeblieben, die Stürme nicht über den Pazifik hereingewaschen und in den Bergen ist kein Schnee gefallen. Und so warten wir sogar inmitten all dieser Schönheit, in diesem Erwachen, das jedes Jahr so völlig neu ist, auf die Feuer. Letztes Jahr brannten sie für Wochen gleich unten an der Straße, und vor wenigen Tagen flammte die Glut in einem Baum zu Feuer auf. Die Tage sind bereits heiß, wenn auch noch der Geruch von Frühling in der Luft ist und nicht von Rauch.
Das ist die schöne neue Welt, in die wir gestolpert sind – Feuer, Überschwemmungen als erste Mahner, dass die Klimaveränderung nicht nur CO2-Emissionen und Wissenschaft und Daten ist, sondern wartende, nicht wissende Landschaft. Letztes Jahr fielen Tausende von Zugvögel verhungert vom Himmel, weil sie auf der Flucht vor dem Rauch weitergeflogen waren. Was wird dieses Jahr passieren? Wessen Haus wird abbrennen, wer wird fliehen, um den Flammen zu entkommen? Werden wir sicher sein oder ist Sicherheit nur eine Geschichte aus einer anderen Zeit, aus der Zeit vor dem Großen Auflösen?
Letztes Jahr war es hier in Kalifornien ein für die Jahreszeit untypisch trockener Gewittersturm, der die Bäume Feuer fangen ließ und Millionen Morgen Land niederbrannte. Wie wird sich dieses Jahr entwickeln? Wir hier an der Küste können uns glücklich schätzen, dass wir vom Schlimmsten der Pandemie verschont blieben und die meisten bereits geimpft wurden, während in Indien die Krematorien überlastet sind. Viele sehnen sich danach, zur Normalität zurückzukehren und dieses Trauma hinter sich zu lassen. Aber all jene von uns, die dem Land nahe sind, die seinen Puls spüren und hören, wie seine Geheimnisse in den Bäumen geflüstert werden, wissen, dass dies nur ein weiterer Traum ist und dieses „Normal“ inzwischen verloren gegangen und nichts weiter als eine nostalgische Erinnerung ist. Die Pandemie hat uns die Ungewissheit gelehrt und die Notwendigkeit gezeigt, noch mehr der ERDE zu lauschen und Ihr gegenwärtiges Ungleichgewicht zu fühlen. Trotz all unserer Computermodelle und Pläne für eine Zukunft grünen Wirtschaftswachstums wissen wir nicht, wohin wir gesteuert sind (oder noch steuern). Hier an der Küste gibt es keinen Plan, mit den Flächenbränden zu leben, außer Beten und eine gepackte Tasche.
In Ostafrika sind die somalischen Viehhirten bereits weitergezogen, nachdem sie erleben mussten, wie ihre Tiere in den Jahren der Dürre starben. Sie haben das Land, durch das sie Jahrhunderte lang gewandert waren, zurückgelassen und sind in Lager gegangen. Sie wissen, dass der Klimawandel Hunger und Migration mit sich bringt, weil sie unter den Folgen unserer Nutzung fossiler Energieträger leiden. Sie haben nicht all dieses CO2 in die Atmosphäre geschickt; sie sind zu arm, um zu verschmutzen. Aber sie sind unter den ersten, die darunter leiden. Hier scheint unser Leben nicht weiter verändert, zwar werden die Schlangen an den Tafeln länger und die Armut nimmt zu, doch für die meisten von uns ist unser Leben noch nicht zerbrochen. Aber wir können spüren, wie sich etwas Grundlegendes verändert hat, eine Grenze überschritten ist. Fühlen wir den Kipppunkt zuerst in unserer Seele, bevor Feuer und Rauch die Luft rot färben?
Werden die Feuer und Überschwemmungen uns endlich wachrütteln und unsere Aufmerksamkeit zurück zur lebendigen ERDE lenken? Oder haben wir diese Verbindung verloren, diesen Ort der Zugehörigkeit? Wie lange noch braucht es, bis wir gezwungen sind, aus diesem Albtraum der Entfremdung zu erwachen? Ich habe mir oft ausgemalt, wie der Frühling nach dem harten Winter des Materialismus kommen würde, nach all den Jahren, in denen wir den Profit über den Menschen und die mehr-als-menschliche Welt gestellt haben. Jetzt weiß ich inmitten all der Farben und der Süße, dass dies nicht der wirkliche Frühling ist, auf den ich gewartet habe, sondern nur ein Moment des Wunders, der Magie, bevor das Land zu trocken wird. Bevor die Klimakrise eine düstere Welt schafft. Bevor auch wir allmählich zerbrochen werden.
Am Ende des Mittelalters gab es eine kleine Eiszeit, als die Winter sich weit in den Frühling ausdehnten. Die Ernten fielen aus, die Leute hungerten. Als erstes verbrannte man Frauen als Hexen, was die Götter besänftigen sollte. Doch das half nicht, die Winter wurden kälter, die Flüsse froren zu. Ich frage mich, wie wir reagieren werden – wen werden wir dämonisieren, um unsere Ängste zu beschwichtigen? Werden wir Zuflucht suchen bei autoritären Regimen, die uns Stabilität verheißen? Oder beim Populismus, beim Nativismus, die uns versprechen, uns eine Stimme zu geben? Ich bin sicher, wir werden ein Opfer finden, dem wir die Schuld zuschieben können, irgendetwas, um dem tiefinneren Wissen zu entkommen, dass unsere Art zu leben vorbei ist, dass wir mit dieser Geschichte der Ausbeutung und des ungebremsten Konsums, dieser Pest, die das Land verbrennt, nicht länger fortfahren können.
Es gibt Erzählungen, die uns zerstören, und Erzählungen, die uns Kraft geben. Dieser Frühling schenkt uns einen kurzen Blick auf das, was trägt, nämlich die einfache Schönheit, „Eine Spur vom süßen Sein der Erde im Anfang. In Edens Garten.“1 Hier sind wir Teil von etwas, das wiedergeboren wird, lebenssprühend, aber manchmal auch zögernd wie das Rehkitz. Die Feuer werden wieder kommen, das Land wird brennen, aber wir können diesen Samen, der den Zyklen der Jahreszeiten und unserer eigenen Seele angehört, am Leben erhalten. Dieses über Generationen weitergereichte Wissen, lange bewahrt in den alten Geschichten, bevor wir vergessen haben, uns zu erinnern, Erzählungen, wie Zivilisationen zerfielen und in ihren Trümmern grüne Triebe emporsprossen. Das ist der Traum, den wir in den kommenden Jahrzehnten wachhalten müssen. Wir können darüber diskutieren, CO2-neutral und energieeffizient zu sein, aber es gibt eine andere, machtvollere Erzählung, die in diese Tage des Sterbens unserer gegenwärtigen Zivilisation eingewoben ist. Es ist eine so einfache Geschichte, dass sie leicht übersehen wird: wie wir miteinander und mit der ERDE auf eine Art zusammen sein können, die nährt und nicht ausbeutet. Es ist eine Rückkehr dahin, wie es im Paradies war, bevor wir daraus vertrieben worden sind und gelernt haben, in Konkurrenz zu gehen statt zusammenzuarbeiten.
Wenn die Feuer kommen und die Gebäude brennen, sind es Freunde und Nachbarn, die wir brauchen, Gemeinschaften, die uns unterstützen, die Hilfsbereitschaft von Fremden. Das haben wir letzten Sommer erfahren, als die Feuerwehrleute ihr Leben beim Löschen riskierten. Wir hatten Glück in unserer Ortschaft, dass dieses Mal niemand sein Heim verlor, anders als bei so vielen landeinwärts. Handgemalte Schilder mit dem Dank an die Feuerwehrleute sind noch entlang der Straße zu sehen. Wir können dem von uns geschaffenen Ungleichgewicht der Natur nicht entkommen, aber wir können lernen, gemeinschaftlich in eine ungewisse Zukunft zu gehen.
Vor Jahren hatte ich eine Reihe von Visionen über die Zukunft, von einer Zivilisation, die darauf wartet, ins Leben zu kommen. Mir wurde gezeigt, wie wir neue Heilmethoden entwickeln würden, indem wir die Weisheit der Schamanen mit den Techniken der modernen Medizin verbinden. Ich sah, wie uns eine ähnlich einfache Technologie wie die Photosynthese gegeben würde, die uns alle mit kostenfreier und umweltfreundlicher Energie von der Sonne versorgen könnte. Ich sah, wie Erdmagie lebendig wurde und Pflanzen nach Jahrhunderten des Schweigens wieder mit uns kommunizierten. Aber ich sah nicht, wie der Übergang für uns werden würde: die so stark zerbrochene Straße, auf der wir gehen müssen, die wir jetzt Klimakrise und gesellschaftlichen Zusammenbruch nennen, den Zerfall unserer derzeitigen untragbaren Lebensweise.2 Visionen sind oft einfach und klar, voller Licht und Liebe und ihnen fehlt das Wirrwarr des alltäglichen Daseins. Ich sah nicht die Bauern, wie sie ihr rissiges, vertrocknetes Land verließen, die Flüchtlingslager, all die Migranten auf der Flucht vor Hunger und Gewalt, manchmal zur Prostitution verkauft. Ich kann auch noch nicht sehen, wie diese derzeitige Zivilisation schließlich auseinanderbrechen und sterben wird, wie sie für eine Bevölkerung, die ihren Weg verloren hat, nur noch ein zerfallenes Monument ist. Aber für mich ist die Magie jener Visionen weiterhin wahr, und ich fühle auch, wie viele der heutigen Geschichten, besonders die Verzerrungen der sozialen Medien, verloren gehen werden, wenn die Wasser steigen.
Trauriger weise betrachten Viele die künftige Klimakatastrophe innerhalb derselben Geschichte, die genau diese „Krise“ hervorgerufen hat, nämlich dass die Natur eine wilde zerstörerische Kraft ist, die wir kontrollieren müssen, um uns vor ihr zu schützen, damit wir unseren Lebensstil bewahren können. So war es auch bei den ersten weißen Siedlern in Nordamerika, die die großen Wälder und weiten Ebenen als bedrohliche Wildnis ansahen, die beherrscht werden musste. Sie erkannten nicht ihre Wege und ihre Weisheit, wussten nicht, wie man auf sie schauen und ihr zuhören sollte.3 Und jetzt, wo wir in dieses gegenwärtige Szenario taumeln, ist die Notwendigkeit für ein intensives Gewahrsein noch viel größer, damit wir empfänglich sein können für die Geistwesen des Lands und für die Lichtwesen, die uns Führung geben und immer um uns sind trotz allen Leugnens der unsichtbaren Welten. Wir sind immer Teil einer durch und durch belebten Welt, auch wenn wir dieses Wissen aufgegeben haben. Visionen können zu uns singen, uns Songlines zeigen, damit wir ihnen folgen, Träume, die wir brauchen. Wir können es uns nicht länger leisten, isoliert in unserem rationalen Bewusstsein zu verharren.
Ich dachte immer, ich würde so lange leben, um meine Visionen verwirklicht zu sehen. Jetzt hoffe ich nur noch, dass die Enkelkinder meiner Enkelkinder in einer menschlicheren Welt einhergehen werden, die wach ist für die vieldimensionale Verwandtschaft, und dass sie darum wissen, dass alles, was sie sehen, hören und berühren, heilig ist. Ich habe keine Ahnung, wie viel verbrennen muss, bis wir unsere Verhaltensmuster aufgeben, die die ERDE vergiften und Ihre wilden Orte zerstören. Bis wir wieder die Musik wahrnehmen können, mit der die Seevögel mit dem Gang der Gezeiten verbunden sind. Visionen sind voller Versprechen, und nicht alle werden Realität. Wie die Welten zusammenkommen, wie Träume in unser Bewusstsein eingewoben werden gehört zu den größten Geheimnissen des Lebens.
Während der Frühling in den Sommer übergeht, warten wir auf die Feuersaison. Und wir spüren auch die tieferen Zyklen dieser Jahreszeit, die zu unserem gemeinsamen Schicksal mit der ERDE gehören. Presst man die Finger auf die Rinde eines Baums, kann man fühlen, wie seine Wurzeln tief in den Boden reichen und wie die Bäume einander kennen und zusammen zu einem lebendigen Netzwerk verbunden sind. Die Wissenschaftlerin Suzanne Simard benutzt den Begriff „wood-wide-net“, um die Pilze im Boden zu beschreiben – sie werden Mykorrhizapilze genannt –, die Bäume miteinander verbinden, mit jedem kommunizieren und ein integriertes Ganzes bilden. Sie hat auch herausgefunden, dass alte Bäume in den Wäldern, die sie „Mutter-Bäume“ nennt, mit ihren riesigen Wurzelsystemen kleinere Bäume nähren. Vor unserem Küchenfenster steht solch ein riesiger und Jahrhunderte alter Baum, der einst zu dem Wald gehörte, der den Hang überzog. So dicht bei ihm können wir das Land mit den Ureinwohnern fühlen, als Bäume noch Lebewesen und Geister waren – nicht nur Holz zum Fällen. Und dieses Land wartet auf unsere Rückkehr, möchte uns wieder willkommen heißen, nicht als Fremde oder Siedler, sondern als Teil einer Gemeinschaft, wo auch wir ins Leben zurück genährt werden.
Die Feuer mahnen uns, dass unsere gegenwärtige Erzählung zerbrochen ist, ihr Mythos vom Fortschritt und immerwährenden wirtschaftlichen Wachstum die Umweltzerstörung vorangetrieben hat. Die Natur in Ihrer Schönheit wie auch in Ihrer Gewalt fordert uns zur Umkehr auf, uns wieder einzureihen in die „große Unterhaltung“, wo der Wind und die Sterne zu uns sprechen.4 Während wir diese Grenzlandschaft zwischen den Erzählungen, zwischen den Zivilisationen durchqueren, brauchen wir Unterstützung und Führung dieser größeren Gemeinschaft. Während wir die tiefe Unsicherheit einer sich auflösenden Zivilisation erfahren, brauchen wir das Gefühl der Zugehörigkeit, nicht zu einer politischen Ideologie, einer Rasse, einer Nation, einer Verschwörungstheorie, sondern zu einer lebendigen Präsenz, die uns durch Tausende von Jahren gehalten hat, auch damals schon, als wir in kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern umherzogen. Damals waren wir wach mit all unseren Sinnen, die Zeremonien und Träume im Austausch mit den sichtbaren und unsichtbaren Welten, lange bevor wir das Land „besiedelten“ und dann vergaßen, dass es heilig ist.
© 2021 The Golden Sufi Center
(1) Gerard Manley Hopkins: „Spring.”
(2) In einem kürzlich verfassten offenen Brief, der am 6. Dezember 2020 im The Guardian erschien, gaben 258 Klimaforscher und andere Wissenschaftler „eine Warnung zum Klima und zur Gefahr des gesellschaftlichen Zusammenbruchs” ab, ausgelöst „durch die Weise, wie moderne Gesellschaften Mensch und Natur ausbeuten.”
(3) Wie Häuptling Luther Standing Bear sagte: „Für den weißen Mann war die Natur nur eine ‚Wildnis’ und das Land nur ‚verseucht’ mit ‚wilden‘ Tieren und ‚primitiven’ Menschen. Für uns war es friedvoll. Die Erde war freigiebig, und wir waren umgeben vom Segen des „Großen Mysteriums.” Aus Indian Wisdom (1933).
(4) Thomas Berry schreibt: „Wir [Menschen] sprechen nur untereinander. Wir sprechen nicht mit den Flüssen, wir lauschen nicht dem Wind und den Sternen. Wir haben die Große Unterhaltung abgebrochen. Durch den Abbruch dieses Gesprächs haben wir das Universum zerschlagen. Alle Katastrophen, die sich jetzt ereignen, sind die Folge jenes spirituellen ‚Autismus’.”