Übersetzung des englischen Artikels: Radical Resilience: An Inner Shift
Der Klimanotstand konfrontiert uns mit den immer schneller zunehmenden Auswirkungen unserer materialistischen Kultur: extreme Trockenheit, Stürme, Brände und Plastik, das nicht nur die Meere füllt, sondern als Mikroplastik die Luft verschmutzt. Die Stimmen junger Leute fordern, dass gehandelt wird, so wie Greta Thunbergs Schulstreik weltweit Anhänger findet und die Extinction Rebellion die Wahrheit über das bedrohte Leben auf der Erde ausspricht: „Wir befinden uns mitten in einem von uns verursachten Massenaussterben.“ Die jungen Leute sehen ihre Zukunft und die Zukunft der Erde von profithungrigen Konzernen und der dunklen Seite des Kapitalismus zerstört. Die Menschheit hat nur noch ein Dutzend Jahre, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Erderwärmung auf 1,5° C zu begrenzen, oder sie wird sich Katastrophen riesigen Ausmaßes gegenübersehen.
Doch was für eine Zukunft stellen wir uns angesichts dieser Katastrophen vor? Und obwohl die Not ständig größer wird – „unser Haus brennt“, wie Greta es ausdrückt – laufen wir da nicht Gefahr, dass wir den eigentlichen Konsequenzen unseres kollektiven Verhaltens ausweichen und in Wirklichkeit nur versuchen, der Krise mit derselben Einstellung, demselben Bewusstsein zu begegnen, die sie im Kern ausgelöst hat? Ja, wir müssen die CO2-Emissionen reduzieren und Bäume pflanzen(1). Aber wenn wir weiterhin die Erde, ihr Klima oder die Umwelt als von uns getrennt betrachten – als ein Problem, das eine Lösung erfordert – setzen wir nur dieselbe Geschichte fort und kleben nur ein Pflaster über die von unserer gegenwärtigen Zivilisation verursachten schwärenden Wunde.
Wir müssen akzeptieren, dass unsere Zivilisation mit ihren materialistischen Werten, ihrer Abhängigkeit von Konsum ihr Ablaufdatum überschritten hat. Ihre Werte und Verhaltensmuster sind so selbstzerstörerisch, sogar psychotisch,(2) dass sie auf ihren Untergang zusteuert – wie Paul Kingsnorth sagt: „zu Fall gebracht durch ein sich rapid veränderndes Klima, ein krebsartiges Wirtschaftssystem und die andauernde Massenzerstörung der nichtmenschlichen Welt.“ (3)
Auch wenn Regierungen und Konzerne kurzfristige Lösungen zur CO2-Reduzierung anbieten und erneuerbare Energiequellen fördern, verlangt eine gegründete Antwort, einzusehen, dass ihr Modell unserer Zivilisation mit der Ideologie des Fortschritts und den Bildern ständigen Wirtschaftswachstums nicht nur nicht nachhaltig, sondern krank ist.(4) Stattdessen müssen wir uns „dem Ende der Welt, die wir kennen“ stellen. (5) Wirklich Verantwortung zu übernehmen, heißt, wir können den Konsequenzen unseres Handelns nicht ausweichen. Auch wenn wir die Zukunft, die uns erwartet, nicht kennen, ist es doch notwendig, zu begreifen, was geschieht.
Historisch können wir auf die letzten Tage des Römischen Reichs zurückblicken, einer Zeit, bevor das Finstere Mittelalter Europa für Jahrhunderte verschluckte. Als die letzten römischen Legionen am Ende des 4. Jahrhunderts Britannien verließen – als die Gebäude zerfielen oder leer dastanden –, was waren da wohl die Gefühle und die Haltung all derer, die zurückblieben und wussten, ihre Zivilisation, ihre Welt ging aufs Ende zu? (6) Während es Jahrzehnte, sogar Jahrhunderte dauerte, bis die Römische Ära endete, wurde Baghdad, die größte Stadt der damaligen Welt, in weniger als zwei Wochen durch den Ansturm der mongolischen Horden 1258 zerstört und jedes bedeutende Gebäude, jede Moschee, jeder Markt dem Erdboden gleichgemacht. Das Goldene Islamische Zeitalter fand sein Ende, und das Bewässerungssystem, das Mesopotamien Jahrtausende versorgt hatte, wurde zerstört und nie wieder instand gesetzt.
Ist unsere Arroganz ähnlich wie die der Herrscher von Baghdad, die dachten, ihre Zivilisation würde die Naturgewalt der Mongolen überdauern? Wir wissen nicht, in welchem Zeitrahmen die Klimaveränderung unsere Ära beenden wird, und die meisten stellen sich vor, wir werden uns anpassen und es wird weitergehen. (7) Sind wir wirklich bereit, uns den Gewalten der Natur zu stellen, die durch unseren Hochmut und unsere Ignoranz entfesselt worden sind?
Was bedeutet es, am Ende einer Ära zu leben? Was verlangt das individuell und kollektiv? Wir sind in einem Augenblick tiefgreifenden Übergangs zugegen, der unsere volle Bewusstheit und unser volles Mitwirken erfordert. Und für diese Arbeit brauchen wir Resilienz, Widerstandsfähigkeit als Handwerkszeug, um unsere Unsicherheiten, unsere Ängste auszuhalten, wenn die Dinge auseinanderfallen, gesellschaftlicher Zerfall droht und die Muster des Verleugnens zunehmen, die solche Umbrüche begleiten. (8)Während wir unseren Kummer, die tiefe Trauer über den Verlust der natürlichen Schönheit und des Wunders annehmen und uns mit unserer eigenen Vergänglichkeit und sogar unserem Sterben auseinandersetzen, müssen wir herausfinden, was die spirituellen Wurzeln sind, die uns tragen können, die ethischen Werte, die wesentlich in dieser Zeit des Übergangs sind. Und wie können wir diese Werte in die Tat umsetzen, und zwar individuell und als Gemeinschaft?
Wir müssen auch lernen, an dem Ort gegenwärtig zu sein, wo die Welten zusammenkommen, wo das Alte stirbt und das Neue geboren werden kann. Das ist kein gemütlicher Ort, doch es hilft nicht, wütend zu sein und denen die Schuld zu geben, die in ihrer offensichtlichen Blindheit und Gier diese Krise hervorgerufen haben. Wir alle, die an dieser Zivilisation teilhaben, fahren Auto, sitzen in einem Bus, essen, was nicht lokaler Herkunft ist, haben so dazu beigetragen. Es braucht eine grundlegende Veränderung des Bewusstseins. Statt unserer westlichen Ausrichtung auf Individualismus und die derzeitige neoliberale Ideologie (9) müssen wir der Zusammenarbeit einen höheren Wert geben als dem Wettbewerb und lernen, von einem Ort der Verbindung aus zu leben – Verbindung miteinander und zur Erde als lebendige Präsenz. Gezwungenermaßen werden wir anstelle des ständigen Konsumierens ein Leben in Einfachheit, unterstützt durch die Gemeinschaft, annehmen müssen. Und, wenn möglich, ein Bewusstsein für das Heilige halten, das die gesamte Schöpfung durchdringt, die leidende Erde wie auch unsere Hoffnungen und Träume. Das sind einige der Werkzeuge für die Transformation.
Und wenn wir die Verantwortung für eine mögliche Klimakatastrophe übernehmen, ist es wichtig, dass sich unsere Antworten auf ein gerechtes Modell gründen und Solidarität zeigen mit den Menschen anderer Hautfarbe und den leidenden Bewohnern in Gegenden, wo schon jetzt das Klima zusammengebrochen ist. Wie wir bereits in den immer länger andauernden Trockenzeiten in Somalia sehen können, sind es die Menschen in den ärmsten Ländern, die am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden, wie auch die 2,5 Milliarden Kleinbauern, Hirten und Fischer, die vom Klima und den natürlichen Quellen für ihre Ernährung und ihr Auskommen abhängen. Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit müssen Hand in Hand gehen, wenn wir den Übergang in eine Zukunft schaffen wollen, die über unsere gegenwärtige Gespaltenheit hinausgeht und die Vielfalt der Menschen und die lebendige Erde unterstützt.
Zusammenbruch und Wandel können gleichzeitig vorhanden sein, wenn wir eine Zukunft annehmen, die die folgenden sieben Generationen mit einbezieht, wie es bei den Indianern Tradition ist. (10)Ja, wir brauchen die Werkzeuge für diesen Übergang, die Resilienz, die uns durch den möglichen gesellschaftlichen Zusammenbruch führt, aber auch die Vision einer Zukunft, die für alle Lebensformen zutiefst nachhaltig ist, was für die indigenen Kulturen immer auf dem Bewusstsein von der heiligen Natur der Schöpfung und der Beziehung dazu basiert – verbunden mit dem Wissen um die Erde als lebendige Einheit. Ich will damit nicht sagen, dass die Wiederverbindung mit der Natur oder dem Heiligen in der Schöpfung uns vor einer Klimakatastrophe oder einem gesellschaftlichen Zusammenbruch bewahren wird. Aber dass diese Qualitäten des Verbundenseins notwendig sind, uns in einer Zeit des möglichen Zusammenbruchs und des Wandels zu stützen, wie auch einer mit der Erde geteilten Zukunft anzugehören – einer Zukunft, die nur durch solche grundlegende Veränderung in unserem kollektiven Bewusstsein stattfinden kann.
Die Hinwendung zu einer lebendigen Zukunft bedeutet nicht nur weniger CO2-Emissionen, sondern eine einschneidende Revolution unseres Bewusstseins. (11)Ein Umbruch, die Erde nicht mehr als etwas von uns Getrenntes zu sehen – sei es Ressource zur Ausbeutung oder als ein zu lösendes Problem – , sondern als ein Lebewesen, zu dem wir alle gehören, das in Bedrängnis ist und unsere Liebe und Fürsorge und Aufmerksamkeit braucht. Wir wissen nicht, wie unsere Zivilisation enden oder wie lange es dauern wird – wir leben in einer Zeit radikaler Ungewissheit. Aber wir können merken, dass sie vorbei ist und dass die Samen einer neuen Ära bereits da sind, wenn auch weitestgehend unerkannt. Wenn unsere gemeinsame Zukunft in jeder Hinsicht wirklich nachhaltig sein soll, müssen wir zu einer lebendigen Beziehung zur Erde zurückkehren, einem Zustand des „Interbeing“, des Verbundenseins. (12) Nur dann können wir unser Bewusstsein dahin wenden, wie eine neue Zivilisation geboren werden kann, die im Gleichgewicht und in Harmonie mit der Erde und Ihren lebenden Systemen existiert. Es besteht eine Dringlichkeit für diese Arbeit, auch wenn es vielleicht Jahrhunderte dauert, dass sich diese Zukunft entfaltet – und dazu werden unsere Herzen und Hände gebraucht.
ANMERKUNGEN
(1) Eine neue Studie hat herausgefunden, dass Wiederaufforstung ein viel bedeutenderes Instrument gegen den Klimawandel sein könnte, als bisher angenommen wurde. „Diese neue quantitative Evaluation zeigt, dass [Wald]-Restauration nicht nur eine Lösung für unseren Klimawandel ist, sondern derzeit eindeutig die beste“, sagt Professor Tom Crowther von der Schweizer Universität ETH Zürich.
(2) Jede Art, die bewusst ihr eigenes Ökosystem zerstört, kann man als psychotisch bezeichnen.
(3) „Hope in the Age of Collapse“, ein Interview mit Paul Kingsnorth, Thoreau Farm.
(4) Um noch einmal Greta Thunberg zu zitieren: „Diese andauernde Untätigkeit der Machthabenden und der verantwortlichen Unternehmen werden in der Zukunft ohne Zweifel als Verbrechen gegen die Menschheit in Erinnerung sein.“
(6) Im ausgehenden 5. Jahrhundert war die römische Stadt Londinium mit ihren ehemals vielen großen Gebäuden, ihrem Leitungswasser- und Abwassersystem eine unbewohnte Ruine. Zwei Jahrhunderte später erbauten die Sachsen in der Nähe eine andere Stadt.
(7) Viele glauben, dass erneuerbare Energiequellen, „nachhaltige Entwicklung“ oder eine „grüne Ökonomie“ („Green New Deal“ in den USA) uns ermöglichen werden, unseren energieintensiven Lebensstil fortzusetzen. Man sieht darin sogar einen Schub für das Wirtschaftswachstum, weil man hofft, mit der grünen Technologie und dem Übergang zu einer CO2- armen Wirtschaft viel Geld zu verdienen. Das steht im Gegensatz zu den Null-Wachstum-Befürwortern, die argumentieren, der grüne Kapitalismus sei nicht in der Lage, den Klimawandel oder die kontinuierliche Zerstörung des Planeten aufzuhalten. „Welche Güter oder Dienstleistungen gibt es, deren Produktion, Gebrauch oder deren Entsorgung nicht Land, Energie oder andere Ressourcen verbrauchen? Passivhäuser, Elektrofahrzeuge, Öko-Textilien, Photovoltaik-Systeme, Bioprodukte, Überlandleitungen, kombinierte Energie-und-Wärmekraftwerke, Solarheizungen, Cradle-to-Cradle-Getränkeverpackungen, Carsharing oder Internet-Dienste: sie alle erfüllen die Bedingungen nicht.“ (Nico Paech: Liberation from Excess. The Road to a Post-Growth Economy).
(8) Der blinde Fleck einer jeden Kultur ist die Unfähigkeit, sich ihre eigene Zerstörung und mögliche Auslöschung vorzustellen. Aus: „Deep Adaptation: A Map for Navigating Climate Tragedy“ von Jem Bendell.
(9) Der Neoliberalismus sieht den Wettbewerb als entscheidendes Charakteristikum menschlicher Beziehung. Sie definieren Bürger neu als Konsumenten, deren demokratische Wahlmöglichkeiten am besten durch Kaufen und Verkaufen ausgeübt werden. Jem Bendell betont in seiner grundlegenden Abhandlung „Deep Adaptation“: „Die Antwort des Westens auf die Umweltbelange sind seit den 1970 ern durch die Vorherrschaft der neoliberalen Ökonomie eingeschränkt worden.“
(10) Eine alte Philosophie der Irokesen besagt, dass die Entscheidungen, die wir heute treffen, für sieben Generationen in die Zukunft nachhaltig sein müssen…
(11) Der Ökologe John Milton schreibt über die wohlmeinenden Bemühungen zur Reformierung der Institutionen: „Von allein werden [diese Bemühungen] keine durchschlagenden Veränderungen der menschlichen Kultur bringen, die notwendig wären, damit die Leute wirklich in Harmonie und im Gleichgewicht miteinander und mit der Erde leben können. Die kommende große Öffnung zu einer ökologischen Weltsicht wird eine innerliche sein müssen.“ In den letzten zwei Jahrzehnten (seit meinem Buch: Mit der Einheit arbeiten) habe ich immer wieder betont, dass die notwendige Veränderung im Bewusstsein ein Erwachen zur Einheit ist, ein Wahrnehmen der Vernetztheit und der lebendigen Einheit der gesamten Schöpfung – und dass wir ein integraler Bestandteil dieses lebendigen Ganzen sind statt getrennte Individuen.
(12) „Interbeing“, Verbundensein, ist ein Begriff, den Thich Nhat Hanh geprägt hat, um unsere umfassende Verbindung miteinander und mit allem Leben zu beschreiben.
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