Sein Licht gleicht einer Nische,
in der sich eine Lampe befindet;
die Lampe ist in einem Glase,
und das Glas gleicht einem flimmernden Stern.
Es wird angezündet von einem gesegneten Baum,
einem Ölbaum, weder vom Osten noch vom Westen,
dessen Öl fast schon leuchtet,
auch wenn es kein Feuer berührte—
Licht über Licht
—LICHT-VERS (Koran Sure 24:35)
Eine Übertragung von Liebe
Die Essenz eines jeden Sufi-Ordens, oder tariqa, ist die Energie der Überlieferung, die spirituelle Energie oder göttliche Substanz, die von Lehrer zu Lehrer übertragen wird und die in einer ununterbrochenen Linie bis zum Propheten Mohammed zurückreicht. Ohne diese Übertragung ist tariqa eine Form ohne Substanz, welcher die spirituelle Energie fehlt, die für die wirkliche Transformation des Herzens notwendig ist. Die wahre Geschichte eines jeden Sufi-Ordens ist die Geschichte dieser Übertragung, die der eigentliche Kern des Pfades ist, um die herum sich seine Praktiken und Etikette im Laufe der Zeit entwickeln. Die äußere Form des Pfades kann sich ändern, entsprechend der Zeit, dem Ort und den Menschen, aber die innere Essenz muss dieselbe lebendige Substanz göttlicher Liebe bleiben.
1961 kam eine Frau aus dem Westen, Irina Tweedie, in der nordindischen Stadt Kanpur an, wo sie ihren Sufi-Meister, Bhai Sahib1, traf. Er war Mitglied einer Familie von Sufis. Sein Onkel, Vater und älterer Bruder waren alle Sufi sheikhs in der Linie der Naqshbandiyya-Mujaddidiyya, einem indischen Zweig des Naqshbandi-Ordens, genannt nach dem Sufi-Meister des 14. Jahrhunderts Baha’uddin Naqshband. Die Naqshbandis, bekannt als die Stillen Sufis, praktizieren einen stillen statt eines lauten dhikr. Sie beschäftigen sich nicht mit sama, heiliger Musik oder Tanz; genauso wenig ziehen sie sich auffallend an, um sich von den gewöhnlichen Leuten zu unterscheiden. Ein zentraler Aspekt des Naqshbandi-Pfades ist suhba, die enge Beziehung von Meister und Schüler. Der Orden war sehr erfolgreich in Zentral-Asien, und er breitete sich innerhalb Indiens durch die Arbeit von Ahmad Sirhindi (gestorben 1624) aus, der als der Mujaddid (Erneuerer) bekannt war.
Ungewöhnlich an dieser Sufi-Familie war, dass sie Hindus und nicht Moslems waren. Traditionell waren die Naqshbandiyya-Mujaddidiyya die orthodoxesten aller Sufi-Orden, und betonten die Wichtigkeit des islamisches Gesetzes (sharia); aber am Ende des neunzehnten Jahrhunderts fand ein Übergang statt. Fazl Ahmad Khan, der sheikh von Radha Mohan’s Onkel, war Moslem, so wie auch alle anderen Vorgänger auf diesem Pfad. Aber als der Onkel, Lalaji2 zu seinem sheikh sagte „Ich gehöre dir. Wenn du mir erlaubst, trete ich zum Islam über“, lehnte Fazl Ahmad Khan diese Idee ab: „Du sollst so etwas nicht denken. Spiritualität braucht nicht einer bestimmten Religion zu folgen. Spiritualität sucht die Wahrheit und die Selbstverwirklichung, die Anliegen der Seele sind…Es ist die Pflicht eines jeden, den Sitten und Ritualen des Landes und der Religion, in die man geboren wurde, zu folgen.“3
Irina Tweedie war die erste westliche Frau, die in dieser uralten Sufi-Linie geschult wurde. Nach dem Tod ihres sheikh 1966 kehrte sie nach England zurück, wo sie eine Meditationsgruppe begann. Sie war anwesend, als er starb, und auf sie richtete er seinen letzten Blick: „Ohne den Kopf zu heben, sah er mich mit einem tiefen, ernsten Blick an, senkte die Augen für einen kurzen Moment und schaute mich wieder an…Es war der Blick eines göttlichen Liebhabers…Mein Herz stand still. Es fühlte sich an, als sei es von einem Schwert durchbohrt.“4 Nach England zurückgekehrt, trug sie die Übertragung ihres sheikh mit sich, die Energie der göttlichen Liebe, die notwendig ist, das Herz zu erwecken und den Reisenden nach Hause zu führen—so brachte sie den Naqshbandiyya-Mujaddidiyya Sufi-Pfad in den Westen.
Mein erstes Treffen mit Irina Tweedie fand 1973 statt, als ich zu einem Vortrag eingeladen worden war und mich hinter einer alten Frau sitzend fand, die ihre weißen Haare in einem Knoten hochgesteckt hatte. Nach dem Vortrag wurde ich ihr durch einen Freund vorgestellt. Sie warf mir einen Blick aus ihren durchdringenden blauen Augen zu, und in diesem Augenblick hatte ich die physische Erfahrung, zu einem Häufchen Staub auf dem Boden zu werden. Dann drehte sie sich um und ging und ich blieb völlig aufgewühlt zurück.
Es gibt einen Sufi-Ausspruch, dass der Schüler „weniger als der Staub zu den Füßen des Lehrers“ werden muss. Wir müssen zerrieben werden, bis nichts mehr übrig ist, nur ein bisschen Staub, der vom Wind des Geistes hierhin und dorthin geweht wird. Nur wenn wir unseren Sinn für uns selbst, die Werte des Ego verloren haben, können wir den süßen Duft des Göttlichen tragen, so wie es in einem persischen Lied beschrieben ist:
Warum verströmst du diesen Wohlgeruch, o Staub?
Ich bin nur Staub, auf den die Leute treten,
Aber ich durfte teilhaben am Duft im Hof eines Heiligen.
Nicht ich bin es—denn ganz gewöhnlicher Staub bin ich nur.5
Zu jener Zeit fehlte mir das Verständnis für diese Erfahrung. Ich hatte keinen Bezugsrahmen, mit dessen Hilfe ich sie hätte verarbeiten können. Es geschah einfach, und ich erwähnte es niemandem gegenüber. Erst später wurde mir klar, dass es ein Vorgeschmack des Pfades war. Denn so funktioniert es auf dem Sufi-Pfad: Wenn wir den Lehrer treffen, wenn wir zum ersten Mal den Pfad betreten, wird uns ein kurzer Einblick gegeben, wohin er uns führen wird. In Visionen, Träumen oder inneren Erfahrungen wird dem Reisenden gezeigt, was diese Reise bedeuten wird. Die Naqshbandis sagen, dass „das Ende im Anfang gegenwärtig ist“: der Sufi-Pfad ist ein geschlossener Kreis der Liebe; alles ist im ersten Moment enthalten.
Oftmals werden den Reisenden flüchtige Eindrücke von Seligkeit und bedingungsloser Liebe gegeben. Ich wurde in fana geworfen, den Zustand der Vernichtung. Mir wurde gezeigt, dass ich alles verlieren würde, jeden Sinn für mich selbst. Das war nicht so sehr eine Warnung als vielmehr eine Feststellung. Ich hatte nicht einmal bewusst erkannt, dass ich meine spirituelle Zukunft gesehen hatte. Ich hatte in die Augen einer weißhaarigen alten Frau geschaut, die ich nie zuvor gesehen hatte, und wurde zu Staub auf dem Boden. Ich verstand diese Erfahrung nicht oder hinterfragte sie nicht einmal. Ich wusste nicht, dass meine spirituelle Schulung begonnen hatte.
Meditation
Ich besuchte ihre kleine Meditationsgruppe in einem winzigen Zimmer dicht an den Eisenbahngleisen im Norden Londons. Die Herz-Meditation, die wir praktizierten, war in Indien entwickelt worden, wo sie auch als dhyana-Meditation bekannt ist:
Bei der Herz-Meditation spielt die Körperhaltung keine Rolle, solange der Körper entspannt ist: Man kann sitzen oder sich sogar hinlegen.
Bei der ersten Stufe dieser Meditation wird das Gefühl der Liebe hervorgerufen, die das Herz-Chakra aktiviert. Das kann auf ganz unterschiedliche Arten getan werden. Die einfachste ist, an jemanden zu denken, den wir lieben. Das kann Gott sein, der große Geliebte. Aber oftmals ist Gott eher eine Idee als eine lebendige Realität im Herzen, und es ist leichter, an eine Person zu denken, die wir lieben, wie einen Liebhaber oder einen Freund.
Liebe hat viele verschiedene Qualitäten. Für einige ist das Gefühl der Liebe eine Wärme oder eine Süße, eine Sanftheit oder Zärtlichkeit, während es für andere Frieden, Ruhe oder Stille ist. Liebe kann auch als Schmerz kommen, als seelische Qual, als Gefühl des Verlustes. Wie auch immer die Liebe zu uns kommt, wir versenken uns in dieses Gefühl; wir nehmen alles von uns mit in die Liebe im Herzen.
Wenn wir das Gefühl der Liebe hervorgerufen haben, werden Gedanken kommen, in unseren Verstand eindringen—was wir am Tag zuvor gemacht haben, was wir morgen tun müssen. Erinnerungen werden vorbeifließen, Bilder werden vor dem geistigen Auge auftauchen. Wir müssen uns vorstellen, dass wir jeden Gedanken, jedes Gefühl und jedes Bild nehmen und in dem Gefühl der Liebe ertränken, darin auflösen.
Jedes Gefühl, besonders das Gefühl der Liebe, ist um vieles dynamischer als der Denkprozess. Wenn man diese Übung gut macht, das heißt mit äußerster Sammlung, werden alle Gedanken verschwinden. Nichts wird bleiben. Der Verstand wird leer werden.
Der Zustand von dhyana ist ein völliger Rückzug der Sinne, in dem der Verstand von der Energie der Liebe im Herzen zum Stillstand gebracht und der individuelle Geist vom universellen Geist absorbiert wird. Die tatsächliche Erfahrung von dhyana geschieht selten am Anfang der Meditationspraxis. Es kann Monate dauern, sogar einige Jahre, diesen Zustand zu erreichen. Und wenn wir tatsächlich beginnen, dhyana zu erfahren, nehmen wir es möglicherweise nicht wahr. Die anfängliche Erfahrung von dhyana dauert normalerweise nur den Bruchteil einer Sekunde—für einen Augenblick taucht der Verstand in das Unendliche ein, nur für einen Moment sind wir nicht anwesend. Es kann wenig oder gar kein Bewusstsein dafür da sein, dass dies geschehen ist; der Verstand ist sich möglicherweise gar nicht klar darüber, dass er abwesend war. Aber allmählich verschwindet der Verstand für immer längere Zeitabschnitte; uns wird bewusst, dass unser Verstand abgeschaltet ist. Die Erfahrung kann für einige Zeit wie Schlaf erscheinen, denn Schlaf ist für uns diesem verstandesfreien Zustand am ähnlichsten.
Die Erfahrung von dhyana vertieft sich, wenn der Liebende immer weiter in eine Realität jenseits des Verstandes eintaucht. Mehr und mehr spürt man den Frieden, die Stille und das tiefe Gefühl von Wohlbefinden einer weitaus größeren Realität, wo die Probleme, die uns ein Großteil unserer Zeit umgeben, nicht existieren—eine Realität jenseits von den Schwierigkeiten der Dualität und den Begrenzungen der Welt des Verstandes und der Sinne, mit der wir in der Meditation—für eine kleine Weile jeden Tag—verschmelzen.
Dhyana ist die erste Stufe in der Meditation des Herzens. Es ist, wie Irina Tweedie es beschreibt, „die erste Stufe nach dem Stillen des Verstandes und muss vom Intellekt her betrachtet als ein unbewusster Zustand gesehen werden. Es ist der erste Schritt jenseits des Bewusstseins, wie wir es kennen.“6 In dhyana wird das Herz aktiviert und die Energie der Liebe verlangsamt den Verstand. Der Verstand verliert seine mächtige Kontrolle und das individuelle Bewusstsein geht verloren, zuerst für Augenblicke und dann allmählich für längere Zeitspannen. Der Liebende wird absorbiert, eingetaucht in den Ozean der Liebe.
Nach diesem Stadium der Unbewusstheit beginnt ein höheres Bewusstsein, oder samadhi, zu erwachen. Die Entwicklung von dhyana zu samadhi geschieht „in kleinen Schritten“, „die höchsten Stufen von dhyana werden allmählich transformiert zur niederen Stufe von samadhi, wo man immer noch nicht völlig bewusst ist“. Dieser weniger bewusste Zustand führt wiederum zum höheren Zustand von samadhi, der „ein vollständiges Erwachen der eigenen Göttlichkeit repräsentiert.“7
Die Erfahrungen von samadhi sind nicht einfach zu beschreiben. Sie gehören zu einer Ebene der Realität jenseits des Verstandes, zu einer Dimension der Einheit, in der alles miteinander verschmolzen ist, wo der Verstand, der durch seine Unterscheidungs-fähigkeit wahrnimmt, keinen Halt finden kann. In samadhi beginnen wir, unsere wahre Natur zu erfahren, die ein Zustand des Einsseins ist: Wir sind, was wir erfahren. Allmählich bekommen wir einen flüchtigen Eindruck von der allumfassenden Einheit und der Energie der Liebe, die zum Selbst gehören und allem Leben zugrunde liegen, und wir werden davon durchdrungen. Diese Einheit ist kein statischer, sondern ein höchst dynamischer Zustand des Seins, der sich ständig ändert. Auch unsere Erfahrung davon verändert sich: Nicht zwei Meditationen gleichen sich und unsere Erfahrung wird tiefer und reicher, immer vollständiger. Auf dieser Ebene der Einheit hat alles seinen eigenen Platz und erfüllt seinen eigentlichen Zweck. In der äußeren Welt erleben wir nur eine fragmentierte Wahrnehmung unseres Selbst und unseres Lebens. Hier ist alles vollständig, und die wahre Natur alles Geschaffenen ist als Ausdruck göttlicher Einheit und Herrlichkeit gegenwärtig.8
Polieren des Herzens
Im Zimmer meiner Lehrerin meditierten wir, tranken Tee und aßen Kekse, hörten zu und sprachen miteinander. Meine Lehrerin redete über ihren sheikh, über seine grenzenlose Liebe und unzweifelhafte Autorität, über die Macht und die Schönheit seiner Gegenwart und über das Verlangen nach Wahrheit, das im Herzen verborgen liegt. Sie ließ uns an der Leidenschaft teilhaben, mit der sie dieses Ur-Verlangen lebte, und drängte uns, das zu leben, was am tiefsten in uns war. Es gab nur wenig Form oder Struktur bei diesen wöchentlichen Treffen. Wir meditierten in Stille und saßen dann einfach zusammen, manchmal im Schweigen, oftmals im Gespräch. Später wurde mir klar, dass unsere Art des Treffens—einfach zusammen sein, in Stille und auch in Diskussionen, in Gesprächen über den Pfad—ein essentielles Merkmal der Naqshbandi-Tradition ist. In den Worten von Baha’uddin Naqshband: „Unser Weg ist der des Gruppengesprächs. Im Alleinsein ist Ansehen und im Ansehen liegt Gefahr. Wohlergehen lässt sich in einer Gruppe finden. Jene, die diesem Weg folgen, finden großen Nutzen und Segen in Gruppentreffen.“
Unsere Gruppengespräche schlossen oft die bei den Naqshbandi traditionelle Beachtung der Psychologie mit ein. Auf dem Naqshbandi-Pfad haben viele der inneren Kämpfe und Schwierigkeiten eine psychologische Dimension. Diese Tradition geht weiter zurück als auf Baha’uddin, nämlich auf al-Hakim at-Tirmidhi (gestorben 907), einen der frühen Sufi-Meister, den Baha’uddin als einen seiner Lehrer anerkannte; al-Hakim at-Tirmidhi war bekannt für eine der frühsten Sufi-Schriften über mystische Psychologie. In der Zeit, als Irina Tweedie bei Radha Mohan Lal war, war sie erstaunt zu entdecken, dass—obwohl er nichts über westliche Psychologie wusste—sein Prozess der spirituellen Schulung Ähnlichkeiten mit dem vom Schweizer Psychologen C. G. Jung beschriebenen Prozess der Individuation hatte. Als sie zu ihrem Sufi Meister kam, hatte sie auf spirituelle Lehren gehofft, aber stattdessen zwang er sie, sich ihrer eigenen Dunkelheit zu stellen, ihrem abgelehnten „Schatten“, wie Jung es beschreibt. Viele andere Elemente Jungianischer Psychologie, wie die Gefahr der Inflation, wurden in seiner Schulung berücksichtigt. Als sie nach London zurückkehrte und ihre Gruppe eröffnete, integrierte sie den Jungianischen Ansatz in die Sufi-Lehren. Wir diskutierten die Transformation des Schattens genauso wie die eher traditionellen Zugänge, mit der niederen Natur (nafs) zu arbeiten.
Die Herz-Meditation mag sehr einfach erscheinen, aber sie funktioniert wie ein Katalysator, der den Prozess der inneren Transformation beschleunigt, indem er die eigene Dunkelheit an die Oberfläche bringt, wo sie konfrontiert und akzeptiert werden muss. Die abgelehnten und nicht anerkannten Teile der eigenen Psyche müssen angenommen werden, müssen „einen Platz in der Sonne bekommen“. Dies ist die traditionelle Sufi-Arbeit: das „Polierens des Spiegels des Herzens“, das uns einen Einblick in unsere wahre Natur ermöglicht. Wenn dieser innere Spiegel zugedeckt ist von dem, was im Westen Projektionen und Ego-Konditionierungen genannt wird, sehen wir alles auf verzerrte Art und Weise; wir sehen die verworrenen Reflexionen unseres eigenen Lichts und unserer Dunkelheit. Während wir den Spiegel polieren, werden die Verzerrungen weggenommen und wir fangen an, mit einer neuen Klarheit und Einfachheit zu sehen. Vom scheinbaren Chaos der Mannigfaltigkeit ausgehend wird uns allmählich die darunterliegende Einheit bewusst. Das Göttliche wird ins Bewusstsein geboren und seine Qualität der Ganzheit fängt an, unser inneres und äußeres Leben zu durchdringen. Indem wir nach innen schauen, blicken wir über das Ego oder nafs hinaus auf das, was essentieller und beständiger ist: „Obwohl du vollständig verändert bist, siehst du dich selbst wie du vorher warst.“9
Mit dem psychologischen Prozess des Pfades ist die Praxis der Traumarbeit eng verbunden. Baha’uddin war ein namhafter Traumdeuter, und Träume wurden immer als eine Führung auf dem Pfad angesehen. In unserer Meditationsgruppe diskutieren wir Träume, insbesondere Träume mit einer spirituellen Dimension. Über die Jahre hinweg haben wir einen Weg entwickelt, mit Träumen zu arbeiten, der den traditionellen Sufi-Zugang zu Träumen mit den Einsichten der modernen Psychologie verbindet; und dadurch haben wir ein Gefäß geschaffen, das dem Reisenden hilft, den inneren Prozess des Pfades zu verstehen.10 Obwohl die meisten dieser innersten Prozesse dem gewöhnlichen Bewusstsein immer verborgen sein werden, ist es für die Reisenden hilfreich, einen Zusammenhang für das zu haben, was auf der Ebene der Seele in ihnen passiert. Träume funktionieren als Botschafter der Innenwelt, und wenn wir ihnen zuhören, können wir uns selbst viel besser auf unsere innere Transformation einstellen. Wir erkennen die Hinweise, die sie uns geben können.
Als der Pfad in den Westen kam, wurde die psychologische Arbeit und die Trauminterpretation entsprechend den Bedürfnissen der westlichen Praktizierenden weiterentwickelt, da traditionelle Sufi-Zugänge nicht hinreichend die besonderen Entwicklungen der westlichen Psyche berücksichtigen. Im Westen zum Beispiel ist die Individualität des Ego sehr hoch entwickelt, während in Indien, wo der Naqshbandiyya-Mujaddidiyya Orden seine Wurzeln hat, die Menschen eher dazu tendieren, mit dem Kollektiv identifiziert zu sein—oftmals ist die Familie wichtiger. Um den Westlern auf dem Pfad zu helfen, wurden die Erkenntnisse von C. G. Jung in die spirituelle Sufi-Psychologie integriert. Jungs Arbeit, die auf der westlichen Tradition der Alchemie basiert, bietet das vollständigste Verständnis des Prozesses spiritueller Transformation unserer Psyche an, bei der das „Blei“ oder die „prima materia“ unseres instinktiven Selbst in das „Gold“ unserer wahren Natur verwandelt wird.
Dhikr und Erinnerung
Neben Meditation, psychologischer innerer Arbeit, Traumarbeit und Zusammensein mit anderen Reisenden ist eine andere zentrale Praxis dieses Naqshbandi-Pfades der stille dhikr. Der dhikr ist eine Wiederholung eines heiligen Wortes oder Satzes. Es kann die shahada sein, “La ilaha illa ‘llah” (Es gibt keinen Gott außer Gott), aber oftmals ist es einer der Namen oder Attribute Gottes. Der dhikr, der uns gegeben wurde, ist Allah. Es wird im Islam gesagt, dass Gott neunundneunzig Namen hat, aber der bedeutendste unter ihnen ist Allah, da Allah Sein größter Name ist und alle göttlichen Eigenschaften enthält.
Aber für den Sufi weist der Name Allah auch über alle göttlichen Attribute hinaus. Entsprechend einer esoterischen Sufi-Tradition ist das Wort Allah zusammengesetzt aus dem Artikel al (das) und lah, was nach einer der Interpretationen „nichts“ heißt. Deswegen kann das Wort Allah so verstanden werden, dass es „das Nichts“ bedeutet. Die Tatsache, dass Sein größter Name den Sinn von „das Nichts“ mit einschließt, ist von großer Bedeutsamkeit, weil für den Mystiker die Erfahrung von Wahrheit oder Gott jenseits aller Formen und Attribute ist. Sie ist eine Erfahrung des Nichts. Kurz vor seinem Tod sagte der Naqshbandi Sufi-Meister Radha Mohan zu Irina Tweedie: „Es gibt Nichts als das Nichts.“ Er wiederholte es zweimal. Die Worte weisen auf die eigentliche Essenz des Sufi-Pfades hin, wie Irina Tweedie erklärt:
Es gibt nichts als das Nichts…Nichts, weil das kleine Selbst gehen und man zu nichts werden muss. Nichts, weil die höheren Bewusstseinszustände für den Verstand das Nichts bedeuten, denn er kann dort nicht hinreichen; sie liegen völlig außerhalb seines Wahrnehmungsrahmens. Auf der Ebene des Verstandes kann es kein völliges Verstehen dieser Zustände geben, also ist er mit dem Nichts konfrontiert. Und im letzten, wunderbarsten Sinn heißt es, in das leuchtende Meer der Unendlichkeit einzutauchen, darin aufzugehen. 11
Insofern beinhaltet der Name Allah die Essenz aller Sufi-Lehren: zu nichts zu werden, im Geliebten ausgelöscht zur werden, so dass alles, was bleibt, Seine Unendliche Leere ist. Eines der Mysterien des Pfades ist, dass diese Leere, dieses Nichts dich liebt. Es liebt dich mit einer Intimität und Zärtlichkeit und unendlichem Verständnis jenseits jeder Vorstellungskraft. Es liebt dich aus dem tiefsten Innern des Herzens, aus dem Kern deines eigenen Seins. Es ist nicht getrennt von dir. Sufis sind Liebende und das Nichts ist der Größte Geliebte, in dessen Umarmung der Liebende vollständig verschwindet. Dies ist der Pfad der Liebe. Es ist der Kelch des vernichtenden Weines, den Seine Liebenden gerne trinken—wie es in den Worten von Rumi heißt:
Ich habe den Kelch geleert:
jetzt gibt es nichts,
außer ekstatischer Vernichtung. 12
Indem wir den dhikr sagen, den Namen unseres Geliebten still mit dem Atem wiederholen—„Al“ mit dem Ausatmen, „lah“ mit dem Einatmen—, erinnern wir uns an unseren Geliebten. Mit jedem Zyklus des Atems kehren wir zur inneren Essenz im Herzen zurück und leben die Erinnerung unserer Liebe für unseren Geliebten. Indem wir den Namen des Geliebten wiederholen, während wir die einfachen Dinge des täglichen Lebens tun – spazieren gehen, Auto fahren, kochen, putzen – bringen wir die Gegenwart des Geliebten in alles, was wir tun: Beim Kochen mit dem dhikr legen wir zum Beispiel die Erinnerung ins Essen; beim Putzen mit dem dhikr putzen wir mit dem Namen des Geliebten. Wenn wir nachts wach liegen, können wir den Namen im Stillen wiederholen. Es ist schwieriger, dies zu tun, wenn wir sprechen oder mit mentalen Aktivitäten beschäftigt sind, aber wenn unser Verstand frei genug ist, um uns an unseren Geliebten zu erinnern, freuen wir uns, den Namen des Einen, den wir lieben, zu wiederholen.
Möglicherweise fällt es uns zunächst schwer, uns so häufig zu erinnern, wie wir das gerne tun würden. Aber durch die Übung wird der dhikr ein natürlicher, fast automatischer Teil unseres Atems und dann wird kein Moment mehr verschwendet. Jeder Atemzug richtet unsere Aufmerksamkeit auf den Geliebten. Und mit der Zeit wird unser ganzes Wesen dazu gebracht, an dieser Aufmerksamkeit teilzuhaben. Durch die Wiederholung des Namens unseres Geliebten erinnern wir uns an Ihn nicht nur im Verstand, sondern auch im Herzen. Schließlich kommt der Zeitpunkt, wenn jede Zelle des Körpers den Namen wiederholt.
Es heißt: „Erst machst du den dhikr, dann macht der dhikr dich.“ Der Name Gottes wird ein Teil unseres Unbewussten, und er singt in unserem Blut. Das wird wunderschön in einer alten Sufi-Geschichte dargestellt:
Sahl sagte zu einem seiner Schüler: „Versuch für einen Tag ununterbrochen zu sagen: ‘Allah! Allah! Allah’ und mach dasselbe am nächsten Tag und den Tag danach, bis es dir eine Gewohnheit geworden ist.“ Dann hieß er ihn, dies auch in der Nacht zu tun, bis es so vertraut wurde, dass der Schüler es sogar während des Schlafes wiederholte. Dann sagte Sahl: „Wiederhole den Namen Gottes nicht mehr bewusst, sondern lass all deine Sinne von der Erinnerung an Ihn in Anspruch genommen werden!“ Der Schüler tat dies, bis er von dem Gedanken an Gott ganz absorbiert war. Eines Tages, als er in seinem Haus war, fiel ihm ein Stück Holz auf den Kopf und schlug ihm den Schädel auf. Die Blutstropfen, die auf den Boden fielen, formten den Schriftzug „Allah! Allah! Allah!“13
Diese Weise, wie der Name Gottes den Reisenden durchdringt, ist kein metaphorisches Bild, sondern ist ein Ereignis im wortwörtlichen Sinne. Der dhikr ist durch den Lehrer magnetisiert, so dass er den Reisenden innerlich auf den Pfad und das Ziel ausrichtet. (Aus diesem Grund muss der dhikr durch den Lehrer gegeben werden, obwohl er in manchen Fällen auch durch das Höhere Selbst oder traditionellerweise durch Khidr gegeben werden kann14.) Indem er im Unbewussten arbeitet, verändert der dhikr unsere mentalen, psychologischen und physischen Körper. Auf der mentalen Ebene ist das leicht zu erkennen. Normalerweise folgt der Verstand im Alltag seinem automatischen Denkprozess, über den wir meist sehr wenig Kontrolle haben. Der Verstand denkt uns anstatt umgekehrt. Nimm einmal nur für einen Moment deinen Verstand ins Visier und beobachte seine Gedanken—jeder Gedanke kreiert einen neuen, jede Antwort eine neue Frage. Und weil die Energie den Gedanken folgt, ist unsere mentale und psychologische Energie in viele Richtungen zerstreut. Sich wirklich dem spirituellen Leben zu verpflichten, bedeutet zu lernen, sich auf einen Punkt auszurichten, all unsere Energie in eine Richtung zu fokussieren, auf Gott. Indem wir den Namen unseres Geliebten wiederholen, verändern wir die tief eingegrabenen Rillen unserer mentalen Konditionierung, welche dieselbe Melodie immer wieder spielt und dieselben Muster wiederholt, die uns an unsere mentalen Gewohnheiten binden. Der dhikr ersetzt allmählich diese alten Eindrücke mit dem einzigen Eindruck des Namens unseres Geliebten. Der automatische Denkprozess wird neu ausgerichtet auf Gott. Man könnte sagen, dass die Praxis des dhikr uns für Gott neu programmiert.
Die Liebende erfährt eine tiefe Freude in der Wiederholung des Namens ihres unsichtbaren Geliebten, der so nah ist und doch so weit entfernt. Wenn unser Geliebter nah ist, ist das Aussprechen des Namens ein Ausdruck unserer Dankbarkeit für die Seligkeit göttlicher Anwesenheit, für die Süße der Gemeinschaft mit dem Herzen. Wenn unser Geliebter abwesend ist, wird er zu unserem Schrei nach dem Geliebten und hilft uns, die Sehnsucht und den Schmerz zu ertragen. In schwierigen Zeiten schenkt uns der Name des Geliebten Sicherheit und Hilfe. Er gibt uns Stärke und kann dabei helfen, die Blockaden aufzulösen, die uns von unserem Geliebten trennen. Wenn wir Seinen Namen sagen, ist der Geliebte mit uns, selbst wenn wir uns mit unseren Belastungen völlig allein fühlen.
Durch das Wiederholen des Namens fangen wir an, unsere Identifikation mit unserem isolierten, beladenen Ego zu verlieren und identifizieren uns mit unserem Geliebten, der in unserem eigenen Herzen verborgen war. Allmählich fallen die Schleier fort, die den Geliebten verborgen hielten, und die Liebende erkennt Seine Gegenwart in ihrem Herzen. Und so wie der Geliebte die inneren Schleier wegnimmt, werden auch die äußeren Schleier gelüftet. Dann findet die Liebende den Geliebten nicht nur in den inneren Dimensionen ihres Herzens, sondern auch in der äußeren Welt. Sie macht die Erfahrung, dass „wohin du dich auch wendest, dort ist das Angesicht Gottes.“15
Dann wird der Eine, den wir lieben und dessen Namen wir wiederholen, unser ständiger Gefährte. Und die Liebende wird auch eine Gefährtin Gottes, denn die „Augen, die Gott anschauen sind auch die Augen, durch die Er die Welt anschaut.“16 Diese Beziehung der Gemeinschaft mit Gott gehört zur jenseitigen Dimension und wird doch in dieser Welt gelebt. Der Geliebte ist unser wahrer Freund, und diese Beziehung ist die tiefste Freundschaft; sie verlangt unsere völlige Beteiligung. Wenn wir den dhikr praktizieren, Seinen Namen wiederholen, sind wir in jedem Atemzug mit unserem Geliebten.
Reise nach Amerika
Als Irina Tweedie aus Indien nach England zurückkehrte, schuf sie für die Arbeit dieser tariqa eine an den Westen angepasste äußere Form unserer Gruppentreffen. Die Treffen umfassten Meditation, Traumarbeit und Diskussionen und erlaubten uns auch, einfach auf die Sufi-Art zusammen zu sein, eine Tasse Tee zu trinken und die Gemeinschaft auf dem Pfad zu teilen. Die Gruppe hatte keine religiöse Ausrichtung; sie war offen für alle und die Teilnehmer kamen aus einer Vielfalt verschiedener sozialer, kultureller und religiöser Hintergründe—alles was nötig war, war die Sehnsucht nach WAHRHEIT und die Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten, um die innere Arbeit der Läuterung und Transformation zu machen.
Aber der Kern des Pfades liegt in der Beziehung zum Lehrer (suhbat). Durch diese Beziehung werden die Übertragung der Linie und die Gnade gegeben, ohne sie kann keine innere Transformation oder Reise stattfinden. Irina Tweedie brachte nicht nur eine äußere Form in den Westen, sondern eine innere lebendige Verbindung mit ihrem sheikh, die über Zeit und Raum, Leben und Tod hinausgeht. Durch die Schulung, der er sie unterworfen hatte, war ihr sheikh in der Lage, sie zu erreichen, nachdem er gestorben war—nicht mehr als Mensch, sondern als ein Energiezentrum, das zu ihr kam, wenn sie in Meditation war. Diese lebendige Verbindung ist das wirkliche Fundament und das Herz des Naqshbandiyya-Mujaddidiyya Pfades, als er im Westen ankam. Später erfuhr ich, dass es seine Präsenz war, die ich in ihr spürte. Es war sein Duft, der mich dazu brachte, zu ihren Füßen zu sitzen.
Viele Jahre lang besuchte ich die Meditationsgruppe, hörte den Träumen zu und sah, wie sich die Reise der Seele in mir und in allen, die kamen, entfaltete. Eines Tages, ich war ungefähr dreißig und seit über zehn Jahren bei meiner Lehrerin, sagte sie mir beiläufig, dass sich mein Leben verändern würde, wenn ich sechsunddreißig geworden wäre. Zu dieser Zeit war ich ein junger Vater und Englischlehrer am Gymnasium. Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie meinte. Aber sechs Jahre später fand ich mich in Amerika wieder, wo ich Vorträge über Sufismus und Psychologie hielt. 1991 wurde mir gesagt, ich solle mit meiner Familie nach Kalifornien ziehen und ein spirituelles Zentrum für unseren Naqshbandi-Pfad in den USA gründen, und 1992 wurde «The Golden Sufi Center» als ein Gefäß für die Lehren dieses Ordens gegründet. Im selben Jahr zog sich Irina Tweedie zurück und ich wurde als ihr Nachfolger benannt. Ich wurde gebeten, ihre Arbeit im Westen fortzusetzen.
In vielerlei Hinsicht wurde in Amerika die Arbeit des Pfades – so wie sie sich in England entwickelt hatte—fortgeführt. Wir schufen ein kleines Meditations-Zentrum für regelmäßige wöchentliche Meditationstreffen. Einmal im Jahr treffen wir uns zu einem einwöchigen Retreat, bei dem spirituelle Unterweisungen mit tawajjuh (der Übertragung spiritueller Energie) verbunden werden. Ansonsten geht der Pfad mit wenig äußerer Struktur weiter, abgesehen von den Gruppentreffen, die aus Meditation, Traumarbeit, Diskussion und gemeinsamem Teetrinken bestehen. Einige weitere subtile Veränderungen wurden vorgenommen, welche die Besonderheiten der amerikanischen Kultur und die Bedürfnisse der amerikanischen Suchenden berücksichtigen. Die mündliche Sufi-Lehre und Führung zum Beispiel werden traditionellerweise durch Andeutungen vermittelt. Selten wird der Lehrer direkt einen Schüler ansprechen; eher wird er Geschichten erzählen oder sogar zu einer Person etwas sagen, was für eine andere gemeint ist. Aber ich habe schnell gemerkt, dass amerikanische Schüler Andeutungen oder indirekte Lehren nicht erfassen konnten: In dieser Kultur dringen Feinheiten und subtile Hinweise oft nicht zu den Menschen durch. Aus diesem Grund wurde mir erlaubt, in meinem Lehren direkter zu sein.
Aber die essentielle Natur des Pfades bleibt unverändert. Unter der Oberfläche der äußeren Formen findet die traditionelle Arbeit des Pfades so wie immer statt: Jedem Reisenden werden die Führung und Unterstützung gegeben, die er oder sie braucht—durch die Übertragung von Liebe, die von Herz zu Herz gegeben wird, von Seele zu Seele. Ist einmal eine Verbindung zwischen Lehrer und Schüler hergestellt (rabita), ist sogar die physische Anwesenheit des Lehrers für diese Übertragung nicht immer notwendig. Sie geschieht still auf der Ebene der Seele, wo Dualität und die Begrenzungen von Zeit und Raum nicht existieren und wo die Führung, die Lehren und die Energie des Pfades mühelos gegeben und empfangen werden, oftmals ohne das bewusste Wissen des Reisenden. Das ist so, wie es immer gewesen ist. Und nicht zwei Reisende werden gleich behandelt, da jedes Herz, jede Seele einzigartig ist. Manche Suchenden müssen lernen zu lieben, während andere lernen müssen, geliebt zu werden. Der Pfad drängt einige, sich von Anhaftungen zu befreien, während andere tiefer in familiäre und weltliche Angelegenheiten eingebunden werden. Die Übertragung von Liebe geschieht immer eins zu eins, indem die wahre Natur und das wirkliche Bedürfnis jedes Schülers widergespiegelt werden.
In vielerlei Hinsicht scheint die extrem extrovertierte Natur der amerikanischen Kultur es vielen Amerikanern schwer zu machen, der verborgenen Natur dieses Pfades zu folgen. Dies ist der introvertierteste aller Sufi-Pfade. Die starke Ausrichtung des Naqshbandi-Pfades nach innen kann bis zu einer Gruppe persischer Derwische aus Nishapur in den ganz frühen Tagen des Sufismus zurückverfolgt werden, deren Anstrengungen darauf konzentriert waren, ihre nafs oder das Ego daran zu hindern, jegliche spirituelle Identität für sich zu beanspruchen. Sie verzichteten nicht nur auf den traditionellen Flickenmantel der Sufi-Derwische und trugen stattdessen gewöhnliche Kleidung, sondern verbargen sogar ihre eigenen spirituellen Zustände vor sich selbst, indem sie sie nach innen verlagerten, so dass das Ego keinen Zugang dazu hatte und sich nicht aufblähen konnte.
Durch die Übernahme dieser Prinzipien entwickelte der Naqshbandi-Orden eine Art zu lehren, in welcher die spirituelle Entwicklung des Schülers in der Regel vor seinem gewöhnlichen Bewusstsein verborgen ist. Es kann oftmals so aussehen, als ob sehr wenig passiert. Auf diesem Pfad beschäftigen wir uns nicht mit Ritualen oder anderen äußeren Aktivitäten wie Tanzen, Singen oder Chanten. Genauso wenig suchen wir spirituelle Trunkenheit—das ist ein Pfad der Nüchternheit. Anstatt sich auf spirituelle Zustände zu fokussieren, leben wir unser gewöhnliches, alltägliches Leben, sind mit unserer Familie und unserer Arbeit beschäftigt, während wir unsere innere Aufmerksamkeit immer auf unseren Geliebten richten. Obwohl durch die Naqshbandi-Praxis der „Einsamkeit in der Menge“, khalwat dar anjuman, („äußerlich mit den Menschen zusammen sein und innerlich mit Gott“) dieser Pfad sich an das westliche Alltagsleben anpassen lässt, kann es für Westler, besonders für Amerikaner, schwierig sein, den spirituellen Prozess zu würdigen, der jenseits des Verstandes in den inneren Welten stattfindet, zu denen sie zunächst wenig bewussten Zugang haben. Es braucht eine echte Verpflichtung, um beharrlich zu bleiben im Angesicht dessen, was nach sehr wenig äußerer Bestätigung aussehen kann. Im Westen neigen wir dazu, nach Resultaten zu schauen.
Und wir erwarten, dass Resultate durch Anstrengung erreicht werden. Insbesondere die amerikanische Kultur, die von der puritanischen Arbeitsethik angetrieben wird, konditioniert uns zu glauben, dass unser Erfolg oder Versagen in allen Bereichen unseres Lebens das Ergebnis unserer eigenen Anstrengungen ist. Das schafft eine andere Schwierigkeit auf dem Sufi-Pfad—der Glauben an die Selbstbestimmung ist so beherrschend, dass es innerhalb des amerikanischen kollektiven Bewusstseins fast kein Gewahrsein von der Macht der Gnade gibt.
Aber Gnade ist der Eckpfeiler jeder Sufi-Linie, jeder Gesellschaft der Liebenden Gottes. Wenn wir den Pfad betreten, treten wir ein in die Gnade einer spirituellen Tradition, in der die Macht der Liebe für die Arbeit, die getan werden muss, gegeben wird. Ohne Gnade kann nichts auf dem Pfad geschehen. Wie Rumi uns sagt, können wir durch unsere eigene Anstrengung nicht einmal die erste Station des Weges erreichen. Durch die Gnade geschieht das Wunder der Transformation. Es ist die Gnade, welche die Menschen für die unendliche Kostbarkeit von Gottes grenzenloser Liebe öffnet, die sich so leicht verbirgt, obwohl sie immer gegenwärtig ist. Und Gnade ist in ihrem eigentlichsten Wesen ein Geschenk. Sie fließt von Herz zu Herz in einer Übertragung von Liebe, und keine Anstrengung wird verlangt. Es kann sehr schwierig sein, mit dem Streben aufzuhören und die Abhängigkeit von etwas anzuerkennen, das jenseits unserer Anstrengung, unseres Willens oder sogar unseres Verstehens liegt. Unser sheikh, Radha Mohan Lal, sagte zu Irina Tweedie, sie solle betonen, dass dies ein müheloser Weg sei. Alles wird durch die Gnade der Tradition, durch die Gnade des Lehrers gegeben.
Die Essenz des Sufi-Pfades ist nicht durch äußere Bedingungen begrenzt. Ob im Osten oder im Westen, die Liebe, die den Kern eines jeden Sufi-Pfades ausmacht, ist die gleiche. Sobald die Verbindung zwischen dem sheikh und dem Schüler hergestellt ist, kann die Transformation des Herzens beginnen.
Die Beziehung zum Lehrer
Traditionellerweise ist der Sufi sheikh der „Wächter der Tore der Gnade“. Liebe und Gnade sind die Eckpfeiler für die Beziehung zum Lehrer, welche die wichtigste Beziehung für die Schülerin ist. Ohne diese Beziehung gibt es keinen Pfad und keine Reise. Durch die Gnade des Lehrers wird der Schülerin die Liebe und die Führung gegeben, die für die Reise gebraucht werden. Die Schülerin macht Fortschritte durch die Liebe, und wenn die Schülerin selbst nicht genügend Liebe besitzt, wird der Lehrer in ihrem Herzen Liebe erschaffen.
Aber die Beziehung zum Lehrer ist wahrscheinlich das paradoxeste und verwirrendste aller Elemente auf dem Sufi-Pfad. Es ist die intimste und doch die unpersönlichste Beziehung, die wir je haben werden. Sie ist die intimste, weil sie im Herzen stattfindet und eine Beziehung reiner Liebe ist. Und doch ist diese Beziehung völlig unpersönlich, weil sie zur Seele gehört; sie hat nichts mit unserem Ego, unserer Persönlichkeit oder der Person zu tun, die wir im Lehrer wahrzunehmen meinen. Da der Lehrer, während er immer noch als Mensch funktioniert, durch die Gnade seines Lehrers leer gemacht worden ist, ist er „eigenschaftslos und formlos“. In der Sufi-Tradition wird vom Lehrer gesagt, dass er „ohne Gesicht, ohne Namen“ ist, was die unpersönliche Natur des Lehrers unterstreicht.
Aber im Westen sind wir so konditioniert, dass wir Liebe und Nähe nur im Rahmen von persönlichen Beziehungen verstehen. Wir haben keine Vorstellung von einer tieferen, unpersönlichen Liebe, die zur Seele gehört. Unser Hunger nach persönlicher Akzeptanz, unsere unerfüllten emotionalen und sogar körperlichen Bedürfnisse kommen an die Oberfläche, werden leicht „spiritualisiert“ und in die Beziehung zum Lehrer hineinprojiziert. Uns fehlt das traditionelle Gefäß, der Respekt, adab, der diese Beziehung von der persönlichen Ebene unterscheidet. In vielen östlichen Traditionen zum Beispiel kann eine Schülerin oder ein Schüler den Lehrer nicht direkt ansprechen, sondern muss warten, bis sie oder er angesprochen wird. Im Westen gibt es eine solche Etikette nicht.
Außerdem sind, vor allem in Amerika, Beziehungen aller Art von einer gewissen Ungezwungenheit geprägt— selbst Fremde sprechen sich mit ihrem Vornamen an. Während also niemand daran gedacht hätte, Radha Mohan Lal oder Mrs.Tweedie (wie sie genannt werden wollte) beim Vornamen zu nennen, hielten es die Leute in Amerika für passend, mich mit Llewellyn anzusprechen. Und doch bemerkte ich allmählich die Verwirrung, die das stiftete, und das Verlangen, das es nährte, die Beziehung zum Lehrer zu personalisieren. Und diese Schwierigkeit wird für westliche Suchende noch dadurch verstärkt, dass es in unserer Kultur keine Tradition der Beziehung zu einem spirituellen Lehrer gibt. In Indien ist die Beziehung zu einem Guru seit jeher Teil der Kultur, während im Nahen Osten der Sufi sheik eine anerkannte (wenn auch manchmal verfolgte) Figur spiritueller Autorität ist. Aber im Westen war die Beziehung von Meister und Schüler nie Teil unserer spirituellen Landschaft, obwohl sie im Leben von Jesus sichtbar ist. Zudem haben wir in unserer eigenen Kultur keine Erfahrung, die uns helfen könnte, die wahre Natur dieser Beziehung zu verstehen oder zu wissen, wie wir uns in dieser Beziehung verhalten sollen.
Die Liebe, die vom sheikh kommt, ist rein und bedingungslos. Sie ist frei von allen Mustern oder Problemen, die unser normales Verständnis von Beziehungen definieren. Diese Liebe gehört nicht zur Dualität und zu den normalen Dynamiken, die wir mit einer Beziehung verbinden. Sie gehört zur göttlichen Einheit und ist im Herzen des sheikh von Beginn an gegenwärtig. So wie es ihr Sufi-Meister gegenüber Irina Tweedie beschrieb:
„Der Lehrer hat nicht einmal mehr und einmal weniger Liebe. Für ihn sind der
allererste Anfang und das Ende ein und dasselbe; es ist ein geschlossener Kreis. Seine Liebe für den Schüler wächst nicht erst. Beim Schüler ist das natürlich anders; der muss den Kreis erst vollziehen… Je weiter der Schüler voranschreitet, desto näher fühlt er sich im Laufe der Zeit dem Meister. Doch der Meister ist gar nicht näher; er war immer schon so nah, nur der Schüler wusste es nicht.“17
Indem die Reisende in die Präsenz des sheikh eintritt, gelangt sie in die Dimension der Einheit der Liebe betritt. Jedoch weiß sie das nicht; sie hat noch nicht die Fähigkeit entwickelt, zu erkennen oder bewusst zu würdigen, was gegeben wird. Stattdessen bleibt sie in dem Gefängnis ihrer Projektionen, mentalen Konditionierungen und psychologischen Problemen, die zwangsläufig auf die Beziehung zum Lehrer projiziert werden.
Außerdem erweckt die Liebe sowohl positive wie negative psychologische Projektionen. Und wie jeder weiß, der eine menschliche Liebesaffäre erfahren hat: Je größer die Liebe ist, desto mächtiger sind die Projektionen—desto mehr rufen die ungelebten Teile unserer Psyche lautstark nach Beachtung und möchten in das Sonnenlicht unserer Liebe geholt werden. Die vom sheikh bedingungslos gegebene Liebe wird unweigerlich viele Projektionen hervorrufen—viele von ihnen sind unerwartet und ungewollt und gehen einher mit vielen unerfüllten Bedürfnissen. Wenn einmal die anfängliche „Flitterwochen-Zeit“ der Trunkenheit vorbei ist, wird die Schülerin dazu gezwungen, sich mit alldem auseinanderzusetzen. Und weil der sheikh auch eine Autoritätsperson ist, werden die ungelösten Autoritätsthemen der Schülerin ebenfalls an die Oberfläche kommen und die Wolke der Verwirrung vergrössern, welche die wahre Natur der Beziehung zum Lehrer verdunkelt—und damit die Liebe, die die Essenz des Sufi-Pfades ist.
Für den sheikh ist diese Liebe die prima materia des Pfades, sowohl der Anfang als auch das Ende der Arbeit. Durch die Liebe wird die Schülerin von Unreinheiten befreit und neu erschaffen, so dass sie ihre tiefste Natur, ihre angeborene Nähe zu Gott, leben kann. Während die Schülerin sich mit den Hindernissen auseinandersetzt, die ihr der Verstand und die Psyche in den Weg stellen, leistet der sheikh die wirkliche Arbeit der Transformation, indem er das Herz weich macht und die Schülerin auf das Erwachen des Bewusstseins des Herzens vorbereitet, des göttlichen Bewusstseins, das in der innersten Kammer des Herzens, die von den Sufis „das Herz der Herzen“ genannt wird, gegenwärtig ist. Vieles in dieser Arbeit ist ein Vorbereitungsprozess, eine innere Reinigung, um die Schülerin in die Lage zu bringen, dieses Bewusstsein ohne die Verschmutzung durch das Ego oder die niedere Natur, die nafs, zu halten.
Wir werden von der Liebe zurück zur Liebe gebracht, auf eine Reise, die uns tiefer und tiefer in unser spirituelles Herz führt. Nur der Lehrer kann uns das geben, was wir brauchen. Dies ist das wertvollste Geschenk—und dennoch kann das, was gegeben wird, nicht von unserem Verstand oder Ego erfasst werden. Durch die Gnade des sheikh erwacht die Schülerin schließlich zum Bewusstsein der göttlichen Einheit—das ist das Erkennen der Liebe. Aber für viele Jahre auf dem Pfad ist dieses Bewusstsein vor der Schülerin verborgen, die mit den Begrenzungen des Ego und den Verwirrungen der Psyche konfrontiert ist. Die Schülerin kann nicht anders, als den Lehrer durch die Schleier der Dualität und die Verzerrungen der eigenen Projektionen zu sehen; sie kann nicht anders als die Beziehung, die zur unpersönlichen Ebene der Seele gehört, in die persönliche Landschaft ihres Ego zu bringen. Das ist es, was es so schwierig macht, dieser Verbindung der Liebe zu folgen, diesem Faden, der so fein erscheint. Aber wenn wir ihm mit Ernsthaftigkeit, Hingabe, Durchhaltevermögen und einem Sinn für Humor folgen, werden wir zur wahren Natur dieser verwirrendsten und mächtigsten aller Beziehungen erwachen. Wir werden erfahren, wie das Herz des sheikh die Einheit des verborgenen Gesichts der Liebe reflektiert.
Der Pfad der Meister
Hinter jedem Lehrer steht eine Kette spiritueller Meister, und jeder wird von den vorausgegangen unterstützt und geführt werden. Verantwortlich für die Seele eines Reisenden zu sein, ist eine der größten Verantwortungen, die zu tragen jemand gebeten werden kann, und ohne die innere Präsenz meines sheikh könnte ich niemanden führen. Diese verborgene Dimension des Pfades ist im Westen kaum bekannt, wo nur das, was sichtbar ist, wahrgenommen wird—aber es ist ein essentieller Aspekt des Sufismus.
Die Ursprünge des Naqshbandi-Pfades liegen in der mystischen Tradition der Khwajagan (Meister der Weisheit). Diese frühen spirituellen Meister, deren Zentrum zunächst in Buchara lag, waren vom elften bis zum fünfzehnten Jahrhundert in Zentralasien präsent.18 Sie hatten Zugang zu inneren spirituellen Kräften, mischten sich nur selten in die Staatsgeschäfte ein, hatten aber großen Einfluss auf die Herrscher und das Volk.19 Dieses äußere Engagement spiegelt eines der zentralen Naqshbandi-Prinzipien wider, die Einsamkeit in der Menge (Khalwat dar Anjuman), „äußerlich mit den Menschen und innerlich bei Gott zu sein“. Ihr Einfluss beruhte auf ihrer Frömmigkeit und der Liebe, die sie in allen Menschen weckten, die ihnen begegneten. Ab dem sechzehnten Jahrhundert wurde ihr äußerer Einfluss weniger sichtbar, auch wenn sie sich über Buchara hinaus ausbreiteten. Das Wirken und die Autorität dieser Nachkommen der Naqshbandi-Meister lebten jedoch in den inneren Welten weiter, wo sie mit der Sufi-Tradition der awiliya in Verbindung gebracht werden.
Die awiliya sind die Freunde Gottes, eine spirituelle Hierarchie, die aus einer festgelegten Anzahl von hoch entwickelten inkarnierten Wesen besteht, die über die Welt wachen. An der Spitze der Hierarchie steht der Pol (qutb), „der Meister der Freunde Gottes“, der die Achse ist, um die sich das äussere und das innere Universum drehen. Unter dem Pol kommen die sieben Pflöcke, unter ihnen dann die vierzig Nachfolger (al-abdal).20 Wenn einer dieser Freunde Gottes stirbt, wartet ein anderer darauf, seinen Platz einzunehmen, so dass die Anzahl der Freunde immer aufrechterhalten bleibt. Ohne die awliya könnte die Existenz und das Wohlergehen der Welt nicht aufrechterhalten werden.21
Während der letzten Jahrhunderte waren die awiliya verborgen; doch ihre spirituelle Arbeit ist ungestört weitergegangen. Aber die Existenz einer spirituellen Hierarchie, die für die Aufrechterhaltung des Wohlergehens der ganzen Welt arbeitet, ist ein Teil des spirituellen Bewusstseins im Osten geblieben. Im Westen hingegen haben wir den spirituellen Pfad fast ausschließlich mit dem Prozess der individuellen Transformation identifiziert und haben wenig Verständnis von seiner größeren, globalen Dimension. Traurigerweise ist im Westen viel vom Verständnis des spirituellen Lebens durch die Werte des Ego untergraben worden. Nur allzu oft sehen wir das spirituelle Leben ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Selbstentwicklung, des Verlangens nach Fortschritt, der Selbstermächtigung oder des Erreichens von spirituellen Zuständen. Wir übersehen völlig das Grundprinzip, dass es beim Pfad nie um uns geht, um unser individuelles oder spirituelles Wohlergehen. Spirituell reif zu sein bedeutet, dass wir an uns nicht für unser eigenen Nutzen arbeiten, sondern um des Dienens willen: unserem Geliebten und der Gesamtheit des Lebens zu dienen—in der Einheit göttlicher Liebe gibt es keinen Unterschied.
Dieser Pfad der Liebe und des Dienens antwortet auf die Bedürfnisse der jeweiligen Zeit. Im 13. Jahrhundert zum Beispiel halfen die Anhänger dieses Pfades beim Wiederaufbau des Nahen Ostens, der durch die Mongoleninvasionen verwüstet worden war. Heute ist die Klima- und Umweltkrise unsere größte Sorge. Die “Spirituelle Ökologie”, die die spirituellen Wurzeln dieser Krise zu verstehen sucht, ist in den letzten Jahren Teil unserer Antwort auf diese sich beschleunigende Katastrophe geworden. Sie bietet einen Weg, um die spirituelle Dimension der ökologischen Krise, ihre Ursachen und die Rolle einer engagierten Spiritualität als Antwort darauf zu verdeutlichen. Ich kann mir vorstellen, dass sie sich in den kommenden Jahrzehnten weiter zu einem zentralen Aspekt des Dienens entwickeln wird.
Der Naqshbandi-Pfad der Meister ist wie ein Fluss, der manchmal sichtbar, manchmal im Untergrund verborgen ist. Der Pfad taucht da auf, wo er gebraucht wird, wo spirituelle Arbeit getan werden muss. Obwohl die äußere Form sich wandeln mag, bleibt seine innere Essenz unverändert. Es ist ein spirituelles System, das dazu entworfen wurde, den Menschen zu transformieren, um uns zu unserer göttlichen Natur zu erwecken und uns zu lehren, wie dies, entsprechend den Bedürfnissen der Zeit, im Dienst an unserem Geliebten gelebt werden kann.
Auf dem Pfad gibt es viele verschiedene Formen spiritueller Arbeit. Innere Läuterung ist eine wichtige vorbereitende Arbeit, welche die Veränderung unserer Verhaltensmuster und die Befreiung von den Haltungen und Reaktionen einbezieht, die unsere Bestrebungen beeinträchtigen. Psychologische innere Arbeit ist Teil dieses Prozesses, sich mit dem „Schatten“ auseinanderzusetzen, den unterdrückten, abgelehnten, uneingestandenen Teilen unserer Psyche; unsere Wunden zu akzeptieren und psychologische Dynamiken und Konditionierungsmuster zu transformieren. Durch spirituelle innere Arbeit entwickeln wir auch die Qualitäten, die wir für den Pfad brauchen, zum Beispiel Selbstdisziplin, Mitgefühl, Geduld und Durchhaltevermögen. Insbesondere lernen wir die weiblichen Qualitäten der Empfänglichkeit, des Zuhörens und der inneren Aufmerksamkeit wertzuschätzen. Durch die Arbeit mit unseren spirituellen Praktiken wie Meditation und Erinnern lernen wir, den Verstand zu beruhigen und aufmerksam für die Bedürfnisse des Göttlichen in unserem inneren und äußeren Leben zu sein. Wir lernen auch, unsere negativen Eigenschaften zu meistern, wie Wut, Gier, Wünsche, Eifersucht und vorschnelles Verurteilen—die nafs unserer niederen Natur. Durch diese Arbeit sind wir besser in der Lage, uns selbst auf unsere höhere Natur auszurichten und ihre Qualitäten in unserem täglichen Leben zu leben. Wir bringen unsere Selbstlosigkeit, Bewusstheit, liebevolle Güte, unser Unterscheidungsvermögen und andere Qualitäten in unsere Familie und an den Arbeitsplatz und transformieren sowohl uns als auch unsere Umgebung. Entsprechend unserer höheren Prinzipien inmitten der äußeren Welt mit ihren Ablenkungen und Anforderungen zu leben ist eine Vollzeit-Beschäftigung.
Die spirituelle Reisende gibt sich ihrer inneren Arbeit und dem äußeren Dienst hin. Die Sufis sind bekannt als die „Sklaven des Einen und Diener der vielen.“ Wir leisten unseren Beitrag zum äußeren Leben, auf welche Weise auch immer wir dazu gerufen werden, ob durch die einfachen Handlungen liebevoller Güte oder durch einen konkreteren Dienst, der dort hilft, wo es gebraucht wird. Wir helfen den Menschen in unserer spirituellen Gemeinschaft und denen in unserem Alltag. Wir lernen, immer aufmerksam für die Bedürfnisse unseres Geliebten zu sein, sowohl in der inneren als auch in der äußeren Welt. Und immer sind wir in der Gegenwart unseres sheikh und in der Übertragung der Liebe gehalten, die von Lehrer zu Schüler weitergegeben wird: die Gnade, die bedingungslos gegeben wird, die Liebe, das Licht und der Schutz, welche von der Kette derjenigen kommt, die mit Gott verschmolzen sind.
- Sie nannte ihn Bhai Sahib, was „Älterer Bruder“ bedeutet.
- Lalaji, auch bekannt als Ram Chandra, wurde zum Begründer einer spirituellen Hindu-Tradition, der Ram Chandra Mission, die in jüngerer Zeit als „Heartfulness" bekannt wurde.
- R.K. Gupta, Yogis in Silence (New Delhi: B.R., 2002), S. 93.
- Irina Tweedie, Der Weg durchs Feuer, Ansata-Verlag, 1988, S. 926 (Neuauflage 2021, Oneness Center, Bern).
- Tweedie, Der Weg durchs Feuer, Ansata-Verlag, 1988, S. 614 (Neuauflage 2021, Oneness Center, Bern).
- Tweedie, unveröffentlichter Vortrag, “Die Paradoxe der Mystik,” Wrekin Trust, “Mystics and Scientists Conference,” 1985.
- Tweedie, unveröffentlichter Vortrag, “Die Paradoxe der Mystik,” Wrekin Trust, “Mystics and Scientists Conference,” 1985.
- Diese Erfahrung der „wahren Natur“ ist vergleichbar mit der buddhistischen Erfahrung des „So-Seins“.
- ‘Attar, Fariduddin, The Conference of the Birds, (London: Routledge & Kegan Paul, 1961), S. 132.
- Einige Jahre nachdem ich Irina Tweedie getroffen hatte, bekam ich einen Traum, der mir sagte, die Arbeiten von C.G. Jung zu lesen. Später verfasste ich eine Doktorarbeit über Jungianische Psychologie und schrieb eine Anzahl von Büchern, welche die psychologischen Dynamiken auf den Stufen des Pfades erforschten (z.B. Catching the Thread: Sufism, Dreamwork, and Jungian Psychology, Inverness, California, The Golden Sufi Center, 1999).
- Irina Tweedie, Der Weg durchs Feuer, Ansata Verlag, 1988, S. 964 (Neuauflage 2021, Oneness Center, Bern).
- Übersetzung. Daniel Liebert, Rumi, Fragments, Ecstasies (Santa Fe, New Mexico: Source Books, 1981), S.45.
- Annemarie Schimmel, Mystical Dimensions of Islam (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1975), S.169.
- Khidr ist eine archetypische Figur der direkten Enthüllung, auf den der Qur’an sich bezieht als „einer Unserer Diener, dem Wir Gnade und Wissen um Uns selbst gegeben haben.“
- Qur’an 2:115.
- Ruzbihan, Schimmel, Mystical Dimensions of Islam, S. 203 (leicht angepasst).
- Irina Tweedie, Der Weg durchs Feuer, Ansata Verlag, 1988, S. 159 (Neuauflage 2021, Oneness Center, Bern).
- Die frühen Khwajagan sind in Beads of Dew from the Source of Life: Histories of the Khwajagan, The Masters of Wisdom dokumentiert. Dieses Buch enthält eine der frühesten Aufzeichnungen über die Prinzipien des Pfades.
- Im 15. Jahrhundert wurden sie politisch aktiver, insbesondere der Naqshbandi-Meister Ubaydullah Ahrar (gest. 1490) aufgrund seines enormen Reichtums und Einflusses am timuridischen Hof.
- Erstmals beschrieben in Kashf Al-Mahjub of Al-Hujwiri: The Oldest Persian Treatise on Sufism.
- Der Sufi al-Hakim at-Tirmidhi aus dem neunten Jahrhundert schreibt über die „vierzig rechtschaffenen Männer“: „Ihnen ist es zu verdanken, dass die Bewohner der Erde vor Unheil geschützt werden; die Menschen werden vor Unglück bewahrt. Dank ihnen fällt der Regen, und die Ernte gedeiht. Keiner von ihnen stirbt jemals, es sei denn, Gott bringt einen anderen hervor, um ihn zu ersetzen. Sie verfluchen nichts, sie fügen denen, die unter ihnen stehen, nie Schaden zu, betrachten sie weder mit Hochmut noch mit Verachtung; sie beneiden nicht die, die über ihnen stehen, und sie haben kein Verlangen nach der Welt.“ (Nawârdir al-usûl, unveröffentlichte Übersetzung von Sara Sviri).