Sufismus ist ein Weg der Liebe und während der letzten dreißig Jahren habe ich versucht, dieses Geheimnis des Herzens zu beschreiben. Seit meinem ersten Buch Der Liebesbund und einem meiner frühesten Vorträge in Hamburg bin ich diesem Faden gefolgt. Dieser Faden, diese Verbindung der Liebe, ist der Kern von allem Existierenden und führt uns in die unbekannte und unerkennbare Essenz und offenbart uns auch die Einheit der geschaffenen Welt um uns herum. Nun hat sich der Kreis dieser Reise geschlossen, und ich möchte diese Geschichte, dieses Abenteuer der Liebe, teilen - verwoben mit früheren Texten dieser Herzensreise.
—Llewellyn Vaughan-Lee,
3. August 2023
LIEBENDER UND GELIEBTER:
Die mystische Liebe im Sufismus
Der Sufismus ist ein mystischer Pfad der Liebe. Die Sufis sind Reisende auf dem Pfad der Liebe, Wanderer, die den Weg zurück zu Gott durch die Geheimnisse des Herzens gehen. Für den Sufi ist die Beziehung zu Gott eine von Liebendem und Geliebtem, deshalb nennt man die Sufis auch die Liebenden Gottes. Die Reise zu Gott findet im Herzen statt und seit Jahrhunderten reisen die Sufis tief in ihrem Innern zu der geheimen Kammer im Herzen, wo Liebender und Geliebter die Ekstase der Vereinigung gemeinsam erfahren. Durch diese mystische Reise erlebt der Sufi-Pilger Gott als die immer tiefer werdende Erfahrung göttlicher Liebe, eine Liebe, die der erschaffenen wie auch der unerschaffenen Welt, der Form wie auch dem Formlosen angehört.
Gott zu lieben und von Gott geliebt zu werden, die Tiefe und Intimität dieser Beziehung zu erfahren, ist ein den Sufis schon lange bekanntes Geheimnis. Im Herzen kommen wir unserem Geliebten immer näher und schließlich so nah, dass es keine Trennung mehr gibt, weil die Liebende im Geliebten aufgeht, die Liebende sich in der Liebe verliert, „im Ozean der Liebe ertrinkt“. Schritt für Schritt wandern wir den Pfad der Liebe entlang, bis wir schließlich von der Liebe in die Liebe hineingenommen, von Gott in Gott genommen werden, und dann gibt es kein zurück mehr, nur noch ein ständiges sich Vertiefen dieser Liebesgeschichte der Seele. Das ist die uralte Reise von der Trennung zur Vereinigung, die Reise von uns selbst fort zu einem Zustand des Einsseins mit Gott.
Es gibt die Geschichte über eine Gruppe Mystiker, ein Bund Gottesliebender, die man Kamal Posh nannte. Kamal Posh bedeutet „Deckenträger“, weil ihr einziger Besitz eine Decke war, die sie tagsüber als Bekleidung trugen und mit der sie sich des Nachts zudeckten. Es wird erzählt, dass sie die antike Welt von Propheten zu Propheten durchreisten, aber keiner konnte sie zufriedenstellen. Jeder Prophet sagte ihnen, sie sollten dies oder jenes tun, und das gab ihnen keine Zufriedenheit. Dann, eines Tages, in der Zeit von Mohammed, der Prophet saß gerade mit seinen Gefährten zusammen, geschah es, dass er sagte, in einer bestimmten Anzahl von Tagen kämen die Männer der Kamal Posh. So trat es auch ein, dass in dieser Anzahl von Tagen diese Gruppe von Kamal Posh zum Propheten Mohammed kam. Und als sie bei ihm waren, sagte er nichts, aber die Kamal Posh waren völlig zufriedengestellt. Warum waren sie zufriedengestellt? Weil er die Liebe in ihren Herzen erweckt hatte, und wenn die Liebe erweckt ist, wie kann es da noch Unzufriedenheit geben?
Sufismus ist die alte Weisheit vom Herzen, weder durch Zeit noch Ort noch Form beschränkt. Sie hat es immer gegeben, und es wird sie immer geben. Es wird immer die Liebenden Gottes geben. Und die Kamal Posh erkannten, dass Mohammed um die Geheimnisse des Herzens wusste. Sie blieben beim Propheten und gingen im Islam auf. Laut dieser Geschichte wurden die Kamal Posh zur mystischen Komponente des Islam. Und später wurden diese Reisenden als Sufis bekannt, vielleicht in Bezug auf ihre weiße wollene Decke, sūf, die sie trugen, oder als Zeichen der Reinheit ihres Herzens, safā, denn man kannte sie auch als die Reinen des Herzens1.
Diese Gottesliebenden folgten dem Islam und beachteten die Lehren des Koran, aber unter dem mystischen Aspekt. Zum Beispiel findet sich im Koran (50:16) der Ausspruch, dass Gott, Allah, uns näher ist als unsere Halsschlagader. Für die Sufis spricht dieser Vers von der mystischen Erfahrung der Gottesnähe, der Intimität mit Gott. Die Sufis beziehen sich nicht auf Gott als Richter oder Vaterfigur, auch nicht als Schöpfer, sondern auf ihn als ihren Geliebten, der so innig, so nah, so zärtlich ist. In den Zuständen der Nähe erfährt der Liebende eine Intimität mit dem Geliebten, welche die Zartheit und die Ekstase der Liebe mit sich bringt.
Wir alle sehnen uns danach, geliebt zu werden, wir alle sehnen uns danach, genährt und gehalten zu werden, und wir suchen das in einer anderen Person. Wir suchen einen Mann oder eine Frau, der oder die uns erfüllen kann. Wir gehen dem nach bis hinein in die Verwicklungen menschlicher Beziehungen. Aber die Mystikerin weiß um die tiefere Wahrheit, dass, auch wenn es so aussieht, als würde der äußere Geliebte einem die Liebe und Unterstützung geben, die wir herbeisehnen, das doch immer begrenzt sein wird. Und eines Tages entdeckt die Mystikerin, dass die Quelle und Antwort auf unser Urbedürfnis nicht von uns getrennt ist, sondern Teil unseres eigentlichen Wesens, unseres eigenen wahren Seins. Um Rumi zu zitieren:
Von dem Augenblick an, da ich meine erste Liebesgeschichte hörte,
begann ich Ausschau zu halten nach Dir
und wusste nicht, wie blind ich war.Liebende begegnen sich nicht zu guter Letzt irgendwo,
sie sind von jeher ineinander.2
Nur im Herzen können unser tiefstes Verlangen, unsere leidenschaftlichsten Bedürfnisse voll und ganz Erfüllung finden. In den Augenblicken mystischer Intimität mit Gott wird uns alles, was wir uns je wünschen könnten, und mehr als wir für möglich halten, gegeben. Gott ist uns näher als wir uns selbst und wir werden mit einer Vollständigkeit geliebt, die nur Gott eigen ist.
Eine weitere Textstelle im Koran, die eine mystische Bedeutung birgt, ist der „Licht-Vers“ aus der 24. Sure, der die Zeile „Licht über Licht! Allah leitet zu Seinem Licht, wen Er will“ enthält. Die Sufis haben die Worte „Licht über Licht“ dahingehend interpretiert, dass sie das Geheimnis beschreiben, wie das in unserem eigenen Herzen verborgene göttliche Licht zu Gott emporsteigt und uns die Sehnsucht und das Licht gibt, die wir für unsere Reise brauchen. Gott entzündet die Lampe göttlichen Lichts in den Herzen derer, die an die göttliche Einheit glauben. Für die Sufis ist dieses Licht lebendige Wirklichkeit, die als Liebe und Zärtlichkeit gefühlt wird, und gibt uns auch die notwendige Führung auf unserem Weg. Dieses Licht bringt uns zurück zum Göttlichen, von dem Schmerz der Trennung zur Umarmung der Vereinigung.
Der Augenblick, wo dieses Licht, diese Liebe erweckt wird, heißt tauba , das Wenden des Herzens. Die Sufis sind bekannt als Reisende, und dies ist der Moment, wo die Reise zurück zu Gott beginnt. Die Sufis sagen, dass es drei Reisen gibt. Die Reise von Gott fort, wenn wir inmitten der Welt Gott vergessen; wir vergessen dann unsere göttliche Natur, die Liebe und das Licht unserer Seele. Die Reise zu Gott, was die Reise von der Trennung zurück zur Vereinigung ist. Und schließlich die Reise in Gott, die eine sich vertiefenden Erfahrung des Göttlichen und der Liebe und Einheit in allem und jedem ist. Doch die Reise zu Gott beginnt mit dem Liebesfunken, der im Herzen entzündet wird, das Sehnen nach dem Geliebten unseres Herzens.
Der Liebende sehnt sich dann danach, leer zu werden, damit der Geliebte unser Herz mit dem Wein des Gotteserinnern, mit dem Geschmack der Nähe, den Intimitäten der Liebe füllen kann. Wir werden von Gott zurückgerufen und wenden uns von der äußeren Welt ab, auf dass unser Geliebter enthüllen kann, was in unseren Herzen verborgen ist: das Wunder des Einsseins, die zuinnerste Vereinigung von Liebendem und Geliebtem. Mit den Worten von al-Hallaj, Prinz der Liebenden genannt, „Ich bin Der, den ich liebe, Er, den ich liebe, bin ich.“
Auf dieser Reise entdecken wir, dass der Schleier, der uns vom Göttlichen trennt, unser Ego ist, unsere illusionäre Wahrnehmung eines separaten Selbst. Wir müssen „sterben, bevor wir sterben“: das Ego muss geopfert werden, verzehrt vom Feuer der göttlichen Liebe. Für die Sufis ist „nichts in der Liebe möglich ohne den Tod“, wieder in den Worten von al-Hallaj:
Zwischen Dir und mir verbleibt ein „Ich bin ich“, das mich quält,
Ah! Nimm dieses „Ich bin ich“ zwischen uns beiden fort.3
Die Energie der göttlichen Liebe und unsere Sehnsucht nach der Liebe ist das Feuer, das den Schleier der Trennung verbrennt, das uns zur Erkenntnis unserer tiefsten Natur erwachen lässt, zur Essenz unseres Seins, welche die Liebe ist. Zerstört durch die Liebe werden wir zur Liebe selbst, wie es in der Geschichte von Layla und Majnun erzählt wird, der bekanntesten Liebesgeschichte des Mittleren Ostens, in der es um einen jungen Mann geht, Qays, dessen Liebe für Layla seinen Namen verändert zu Majnun, der Verrückte. Sufis werden oft als die Narren Gottes bezeichnet.
Für die Sufis ist diese Erzählung eine poetische Allegorie über die mystische Liebe.4 Layla ist die Geliebte und Majnun der Liebende, und seine Geschichte ist die eines Suchers, der von der Sehnsucht verzehrt, von der Liebe verbrannt wird. In der Version von Nizami, verfasst gegen Ende des 12. Jahrhunderts, ist diese Liebesbeziehung reich an Sufi-Symbolik, so zum Beispiel, als Majnun, vom Schmerz der Trennung getrieben, zu Laylas Zelt kriecht:
All der Glanz dieses Morgens war Layla, und doch stand vor ihr eine Kerze und verzehrte sich selbst im Verlangen nach ihr. Der herrlichste Garten war sie, und eine Fackel der Sehnsucht danach Majnun. Sie pflanzte draußen den Rosenstock, den er mit seinen Tränen begoss…
Layla konnte verzaubern mit einem Blick unter ihrem dunklen Lockenhaar hervor, Majnun war ihr Sklave und der tanzende Derwisch vor ihr. Layla hielt das Glas mit dem moschusriechenden Wein in der Hand. Majnun hatte den Wein nicht angerührt, doch war er trunken vom süßen Duft.5
Die vor dem Licht der Sonne stehende Kerze ist ein Sufi-Bild für das Licht des Liebenden vor dem Glanz Gottes. Majnun ist der Liebende, der sich selbst wie eine brennende Kerze in dem Feuer seines eigenen Sehnens verzehrt, und seine Geliebte hält den Wein der Liebe in ihren Händen, dessen Duft ihn berauscht. Wein ist für den Sufi ein Symbol für die göttliche Liebe, die berauschend und süchtig machend ist. Nur ein einziger Schluck vom Wein der göttlichen Liebe und man wird alles hergeben für einen weiteren. Dieser Wein ist die gefährlichste Substanz in der Schöpfung, weshalb die Sufis sagen: „Bleib fern, bleib fern von der Gasse der Liebe.“
Dieses von Layla angebotene Glas Wein mit dem Wein, der zum Herzen gehört und „vor der Schöpfung des Rebstocks“ erschaffen wurde, ist das Geschenk des Geliebten, das einen Liebenden wie Majnun zum Sklaven und Derwisch macht. Sufis werden oft die Sklaven Gottes genannt, denn sie gehören allein ihrem Geliebten. Sie sind die Leibeigenen der Liebe.
Diese Liebe ist das größte Geheimnis der Schöpfung, eine Substanz im Herzen, welche, wird sie vom Blick des Geliebten erweckt, die mystische Transformation der Liebenden in Gang setzt, das Wenden des Herzens, das schließlich das Geheimnis der Vereinigung offenbart, dass Liebende und Geliebter eins sind. Das ist die Reise, die Majnun, hilflos in den Händen der Liebe, unbedingt machen will. Sogar nur der süße Duft dieser berauschenden Substanz ist genug, um ihn trunken werden zu lassen.
Qays und Layla beginnen mit der Unschuld einer Jugendliebe, aber zu bald schon werden sie getrennt, und der Schmerz der Trennung verwandelt Qays in Majnun. Der Schmerz der Trennung – dass wir von Gott getrennt sind, der Liebende vom Geliebten getrennt ist – ist die eigentliche Grundlage des mystischen Lebens. Rumi beginnt sein größtes poetisches Werk mit dem Klagen des von seinem Schilfbett getrennten Rohrs, ein Weinen, das sich in der wehklagenden Melodie der von einem Derwisch gespielten Rohrflöte widerspiegelt:
Hör auf die Flöte, wie sie erzählt, wie sie klagt über Trennung und spricht:
„Seit man mich vom Röhricht schnitt, weinen Mann und Frau bei meiner Klage.
Nur einem Herzen, vom Scheiden gequält, kann ich die Pein des Liebesverlangens erzählen.
Wer weit fort von seinem Ursprung ist, der sehnt sich zurück nach der Zeit der Einheit.“6
Jeder, der die Gasse der Liebe betreten hat, der zu dieser Liebesgeschichte erweckt worden ist, hat diesen Schmerz im Herzen gefühlt. Nichts ist quälender als der Urschmerz des Getrenntseins, dieser Schrei der Seele. Es heißt, Sufismus war „zu Anfang Herzschmerz, erst später wurde er zu etwas, worüber es sich sprechen ließ.“ Rabia von Basra, eine Sufi des 9. Jahrhunderts, die das Thema der göttlichen Liebe in den frühen islamischen Sufismus eingeführt haben soll, beschreibt, wie dieser Herzenskummer allein durch die göttliche Vereinigung geheilt werden kann:
Der Grund meines Kummers und meiner Einsamkeit liegt tief in meiner Brust.
Eine Krankheit ist es, die kein Arzt zu heilen vermag.
Allein die Vereinigung mit dem Freund kann Heilmittel sein.7
Alle Liebenden kennen diesen Schmerz, der einen bis in die Substanz hinein zerreißt, dieses Sehnen, das einen blutige Tränen der Liebe vergießen lässt. Und dieses Sehnen ist unendlich kostbar, denn es zieht einen direkt zu Gott zurück. Mit den Worten des Sufi aus dem 9. Jahrhundert, Bayezid Bistami:
Würden sich die acht Paradiese in meiner Hütte öffnen und die Herrschaft über beide Welten würde in meine Hände gegeben, ich tauschte sie nicht mit diesem einen Seufzer, der sich des Morgens aus der Tiefe meiner Seele erhebt, wenn ich meine Sehnsucht nach Ihm erinnere.8
Majnun ist zum Sklaven der Liebe und zum Gefangenen seiner Sehnsucht geworden. Sein Verlangen, diese göttliche Krankheit der Seele, hat die Arbeit begonnen, ihn von den Fesseln der üblichen Existenz zu befreien, vom durch das Ego konditionierten Leben:
Oh, wer vermag meine Krankheit zu lindern? Ein Ausgestoßener bin ich geworden. Familie und Heimat – wo sind sie? Kein Weg führt mich dorthin zurück und auch keiner zu meiner Geliebten. Zerbrochen sind Name und Ruf wie am Fels zerschmetterte Gläser. Zerrissen ist die Trommel, die mir einst frohe Botschaft verkündet, und was mein Ohr jetzt hört, ist nur der Trommelschlag der Trennung.9
Sehnsucht ist die weibliche Seite der Liebe, die Schale, die darauf wartet, gefüllt zu werden. Sie ist so machtvoll, weil sie den Verstand und das Ego umgeht und unmittelbar zum Herzen spricht. Sie lässt keine Diskussion zu, sondern zieht uns wie ein Magnet heimwärts, fort von unseren Anhaftungen, unserer Identität, unserem kleinen Selbst. Deshalb betet der Liebende darum, dass die Sehnsucht zunehmen möge. Das Gebet von Ibn ’Arabi lautet: „O Herr, nähre mich nicht mit Liebe, nur mit dem Verlangen nach der Liebe.“10 Majnun schreit dasselbe Gebet heraus, als er mit seinem Vater an der Heiligen Kaaba in Mekka steht:
Sie sagen zu mir: „Lösche in deinem Herzen dieses Verlangen nach Layla!“ Aber ich bitte Dich, o Gott, lass wachsen meine Sehnsucht nach Layla…Mein Leben sei ihrer Schönheit zum Opfer gebracht, mein Blut werde ungestraft für sie vergossen, und wenn ich auch in Qual um sie wie eine Kerze verbrenne, so soll doch kein einziger meiner Tage ohne diese Qual sein. Lass mich lieben, o Gott, lieben allein um der Liebe willen, und mache diese Liebe noch hundert Mal größer, als sie schon war und jetzt ist.11
Dies ist der Pfad der Liebe, den Majnun gewählt hat, der ihn in den Augen der Welt verrückt erscheinen ließ. Doch er wurde zu einer Gestalt mystischer Liebe in der Tradition der Sufis. Wie Qushayri schreibt: „Jemand sah Majnun von den Banu ’Amir in einem Traum und fragte ihn: ‚Was hat Gott, der Erhabene, mit dir gemacht?‘ Er sagte: ‚Er hat mir vergeben und mich zum Inbild der Liebenden gemacht.‘12
Majnun, von der Liebe verzehrt, hört auf zu existieren. Er wird von dem Objekt seiner Liebe derart absorbiert, dass Liebender und Geliebte eins werden. In solch einem Zustand gibt es überhaupt keine Trennung mehr: „Wenn du wüsstest, was es heißt, ein Liebender zu sein, dann wäre dir klar, man muss ihn nur aufkratzen und der Geliebte fällt heraus.“13 An seiner Liebe reich, kümmert Majnun nichts anderes. Er geht in die Wüste, wo er sich von Wurzeln, Gras und Früchten nährt, und er fürchtet sich vor nichts, da er sich selbst gegenüber gestorben ist. Die wilden Tiere spüren seine ungewöhnliche Kraft, und statt ihn anzugreifen sind sie freundlich zu ihm. Sie vergessen ihren Hunger und werden zahm und zutraulich. Der Fuchs, der Wildesel, der Löwe, der Wolf und der Panther wandern mit ihm und sind seine Gefährten, und wenn er schläft, wachen sie über ihn. Majnuns Liebe verwandelt die wildesten Tiere, was darauf hinweist, dass im Liebenden die tiefsten, wildesten instinktiven Kräfte durch die Kraft der Liebe transformiert werden. Diese instinktiven Energien werden nicht wie auf dem Pfad der Askese durch Willenskraft gezähmt, sondern allein durch die Liebe.
Majnun hat nur die Liebe im Sinn. Er singt seine Liebesverse dem Wind zu, andere hören sie, und er wird als Dichter berühmt. Aber für jene, die diese Liebe nicht erfahren haben, können Worte nicht die wahre Tiefe der Sehnsucht in Majnuns Herzen vermitteln. Ein junger romantischer Poet, der ihn aufsucht, hält sie für die romantische Leidenschaft eines jungen Mannes. Für Sufis wie Majnun gibt es keinen Vergleich: Romantische Gefühle können uns zwar zur Liebe hin weisen, aber sie sind wie der Falter, der die Lampe von weitem sieht und versucht, das Feuer zu beschreiben – nur der Falter, der in die Flamme geflogen und zu Asche verbrannt ist, weiß um ihre wahre Natur. Majnun macht diesen Unterschied sehr klar, als er vom reinen, vernichtenden Feuer seiner Liebe spricht:
Was glaubst du eigentlich, wer ich sei? Ein Betrunkener? Ein liebeskranker Narr, ein Sklave meiner Sinne, verwirrt von Gelüsten? Wisse: Ich bin über all das erhaben, ich bin der König der Liebe in Majestät. Meine Seele ist rein vom Dunkel der Lust, mein Verlangen geläutert von niedriger Gier, mein Gemüt frei von Scham. Ich habe den Bazar des Sinnengedrängels in meinem Körper durchbrochen. Die Liebe ist die Essenz meines Seins. Die Liebe ist das Feuer und ich bin das Holz, das die Flamme verzehrt. Die Liebe ist eingezogen und hat das Haus geschmückt, und mein Ich hat sein Bündel geschnürt und ist ausgezogen. Du meinst, mich zu sehen, doch ich bin nicht mehr, was ist, ist die Geliebte…14
Die Macht der Liebe wirkt im Herzen und verzehrt alles, was uns von Gott trennt. Als Rumi sein ganzes Leben in dem einen Satz zusammenfasste: „Ich brannte und brannte und brannte“15, war das keine poetische Metapher; er beschrieb die tatsächliche innere Erfahrung von jemand, der diese Reise der Liebe gemacht hat.
Majnun, dessen Herz von Layla erweckt worden ist, wird zum mystischen Liebenden, der Tränen des Getrenntseins von seiner Geliebten weint. Sufi-Wanderer sind wie Majnun, dessen Sehnen ihn in die Wüste treibt, wo die Liebe ihn verwandelt. Die Liebe und die Sehnsucht verbrennen jegliches Gefühl der Trennung und offenbaren schließlich die Wahrheit, dass der Liebende und der Geliebte eins sind. Dieses Einssein mit dem Geliebten ist traditionell das Geheimnis der Sufis. Sie wissen um den Schrei des Herzens und erfahren den Ich-Tod, der die Liebende in die Gottesgegenwart erwachen lässt… das Geheimnis des Verschmelzens, wo sich jegliche Trennung auflöst, und es nur noch Gott gibt.
Der Pfad der Liebe ist die Reise vom Ego mit seinen Illusionen der Trennung zur Wahrheit des göttlichen Einsseins, der vollständigen Identifikation mit dem Geliebten. Das kann als häretisch angesehen werden, und einige Sufis wie al-Hallaj sind durch die Hand der Orthodoxie verfolgt worden. Al-Hallaj wurde wegen seiner häretischen Äußerungen wie: „Ich bin der, den ich liebe“ gekreuzigt. Sogar sein Freund Shibli sagte zum Zeitpunkt der Exekution: „Gott hat dir Zugang zu einem Seiner Geheimnisse gewährt, aber weil du es öffentlich gemacht hast, lässt Er dich die Klinge schmecken.“16 Als einer der ersten Sufis, die die mystische Wahrheit vom göttlichen Einssein verkündet haben, ist er als „der Märtyrer der Liebe“ bekannt geworden, nachdem er 922 in Bagdad am Kreuz starb.17
Und diese Qualität der göttlichen Liebe ist die Grundlage des Sufismus. Sufis werden auch als „die Leute des Geheimnisses“ bezeichnet, weil sie das Geheimnis der göttlichen Einheit kennen und leben.
Die Reise zurück zu Gott wird dann zur Reise in Gott. Wir sind in die Intimitäten des Herzens und das Enthüllen der Einheit gebracht worden. Die Liebende, die zum göttlichen Bewusstsein der Einheit erwacht ist, sieht dann mit dem Auge des Herzens, das Kajal (kohl ) des Auges der Einheit, dass die Welt um uns herum mit Liebe erfüllt ist, und das Antlitz unseres Geliebten überall ist, wohin wir schauen – „wohin ihr euch wendet, da ist Gottes Angesicht“. (Koran 2:115)
Die Liebe, die tief im Herzen war, wird jetzt in der uns umgebenden Welt wahrgenommen, eine Liebe, die alles durchströmt – jeden Vogel, jeden Schmetterling, jedes Blatt an jedem Baum. Alles, jeder Traum, jede vorbeiziehende Wolke ist von Liebe durchdrungen, ist Ausdruck der Liebe. Die Liebe ist die Quelle von allem, was existiert, ist alles, was existiert.
Wissenschaftler mögen uns erzählen, dass unser Universum vor dreizehn Milliarden Jahren mit dem Urknall begann, als von einem unendlich heißen und dichten singulären Punkt aus Materie in die Existenz kam. Aber die Mystiker kennen eine andere Wahrheit: wie aus einer ungeborenen und unsterblichen Leere die Existenz unaufhörlich als Fluss von Licht und Liebe in die Schöpfung kommt und dann die physische Form erhält. Und die Liebe bleibt, die Grundlage, die Essenz von allem – von jedem Teilchen und jedem Stern. Sie ist die Urenergie, die Kraft und Präsenz in der erschaffenen Welt. Und sie ist unsere göttliche Natur, die sich in unserem Körper und in unserer Seele immer entwickelt und verändert, auch wenn sie beständig ist.
Der in der Liebe aufgelöste Derwisch erfährt diesen ekstatischen Tanz der Schöpfung, ein kosmischer Tanz, in dem jedes Atom Gott preist, indem Gott Sich Selbst preist, wie Rumi ausruft:
Wirbelnd kamen wir
aus dem Nichts heraus
verstreute Sterne
wie Staubdie Sterne formten einen Kreis
und in der Mitte tanzten wir
…
Jedes Atom
drehte sich verwundert
…
Und es ist nur Gott
Sich drehend um Sich Selbst 18
Aus der Liebe geboren, zieht es uns zur Liebe zurück, in ein größeres und tieferes Eintauchen in unsere göttliche Natur. Und die Liebe ruft uns auf viele verschiedene Weisen. Wie Rumi sagt:
Sultan, Heiliger, Taschendieb,
die Liebe packt jeden beim Ohr
zieht uns auf geheime Weisen zu Gott19
Die Liebe spricht zu unserer Seele und zu unserem Körper. Die Liebe schließt alle Sinne mit ein – Geschmack, Tastgefühl, Geruch, Seh- und Hörvermögen. Es liegt in der Natur der Liebe alles zu umfassen. Sie kann überall gefunden werden, denn sie ist überall. Die Mystikerin enthüllt dieses einfache Geheimnis, dass in Wahrheit die Liebe durch alles strömt – süß, zärtlich, schmerzend, wissend wie auch dunkel und leidenschaftlich. Und wenn diese Urenergie, diese größte Macht, in uns erwacht, in unserem Herzen, in unserer Seele, zieht sie uns immer tiefer in ihr eigenes Mysterium, in das Geheimnis der Einheit, was die Sufis die Einheit des Seins nennen.
Es gibt die Geschichte über den großen Sufi Dhu’l Nun: „Er begegnete an der Meeresküste einer Frau und fragte sie: ‚Was ist das Ende der Liebe?‘ Und sie antwortete ihm: ‚O Dummkopf, die Liebe hat kein Ende.‘ ‚Warum?‘ Sie sagte: ‚Weil der Geliebte kein Ende hat.‘“ Diese Geschichte beschreibt die grenzenlose Natur der Liebe, welche die Energie, die Macht, des Göttlichen ist. Für den Sufi lässt sich Gott in der endlosen Leere finden, in der Stille, erfahren in Meditation und Gebet, wenn man tief ins Herz geht, jenseits von Form und Formlosigkeit. Aber auch in der göttlichen Gegenwart, offenbar überall in der erschaffenen Welt – in der kleinsten Grille, im wildesten Ozean, im schönsten Sonnenuntergang. Das ist die Ur-Dualität des Absoluten – Schöpfer und Schöpfung, transzendent und immanent.
Der Sufi-Mystiker strebt danach, Gott in beiden Welten zu bezeugen, in der Sichtbaren und in der Unsichtbaren. Es gibt zwei Arten des Bezeugens: die eine ist die Einzigkeit der Heiligen Essenz zu schauen, befreit vom Schleier der Manifestationen. Ibn ’Arabi beschreibt diese Göttliche Singularität:
Er ist jetzt ebenso, wie Er war. Er ist der Eine ohne Einssein und der Einzige ohne Einzigkeit…Er ist das Dasein selbst des Ersten und das Dasein selbst des Letzten und das Dasein selbst des Äußeren und das Dasein selbst des Inneren. So dass da weder erstes ist noch letztes noch außen noch innen außer Ihm, ohne dass diese Er würden noch Er sie…Allein durch Sich Selbst sieht er Sich Selbst und allein durch Sich Selbst kennt Er Sich Selbst. Keiner sieht Ihn außer Ihm und keiner außer Ihm nimmt Ihn wahr. Sein Schleier, das phänomenale Dasein, ist nur ein Teil Seines Einsseins; nichts verschleiert außer Er. Sein Schleier ist nur das Verbergen seines Daseins in Seinem Einssein ohne jede Eigenschaft. Keiner sieht Ihn außer Er – kein gesandter Prophet, kein vervollkommneter Heiliger, kein in Seine Vertrautheit gebrachter Engel kennt Ihn. Sein Prophet ist Er, und Seine Sendung ist Er, und Sein Wort ist Er. Er sandte Sich Selbst durch Sich Selbst von Sich Selbst zu Sich Selbst…Es gibt nichts anderes und es gibt kein Dasein außer Ihm.20
Die andere Form des Bezeugens ist das Betrachten innerhalb des Schleiers der Manifestationen. Das ist, was die Sufis „das Sehen der Einheit in der Vielheit“ nennen. Durch diese Zwiesprache benutzt der Schöpfer den Spiegel der Menschheit, um Sich Selbst Sich Selbst zu offenbaren, wie es in dem hadith heißt: „Ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt werden, so erschuf ich die Welt.“ Doch es gibt noch eine andere, von den Sufis geliebte Formulierung dieses hadith: „Ich war ein verborgener Schatz und Ich sehnte mich danach, geliebt zu werden, so erschuf ich die Welt.“ Reisen wir auf dem Pfad der Liebe werden wir in dieses Mysterium der Liebe gezogen, diese Liebesgeschichte, die beide Welten einschließt.
Unseren Geliebten zu bezeugen ist im eigentlichen Sinn die Selbst-Offenbarung Gottes. „Die Welt ist nur Gottes alleiniges Angesicht“, schreibt der Dichter Ghalib, „Aus dem Verlangen des Einen, Seine eigene Schönheit zu erkennen, sind wir ins Dasein gekommen.“21 Im Herzen offenbart sich dieses Geheimnis. Die Schleier der Trennung werden aufgezogen, damit die Mystikerin mit dem Auge der Einheit schauen kann, dem einzigen Auge des Herzens, welches die wahre Natur der Schöpfung erkennt, nämlich dass sie eine Manifestation des Göttlichen ist. Die Vielfalt des Lebens, das Wunder seiner unzähligen Formen, spiegelt die Einheit Gottes. Im Sufismus ist es das „Bezeugen der Einheit“.
Es heißt, dass „niemand Gott kennt außer Gott.“ Aber durch das erwachte Herz eines Liebenden kann der Geliebte in der Schöpfung erkannt werden. Ibn ’Arabi drückt dieses mystische Paradox folgendermaßen aus:
Wie kann ich Dich erkennen, wenn Du das Zuinnerst Verborgene bist, Das Sich nicht erkennen lässt? Wie kann ich Dich nicht erkennen, wenn Du das Zuäußerst Manifeste bist, Das sich mir in allem zu erkennen gibt?21
Das Göttliche, dessen eigentliche Natur verborgen ist, offenbart Sich Selbst in der Schöpfung und bleibt doch zugleich unerkennbar. Aber durch das Herz, unser spirituelles Organ der unmittelbaren Wahrnehmung, können wir die Göttliche Essenz erfahren, die Liebe, die in allem gegenwärtig ist. Wir erkennen eine Liebe, welche unmittelbarer Ausdruck des Göttlichen ist. Und diese Liebe bringt eine Qualität göttlichen Bewusstseins mit sich, ist in einer bestimmten Weise wach, die über unser begrenztes Verstehen hinausgeht. Diese Liebe spricht zu uns, zu unserem Herzen und unserer Seele und offenbart die verborgenen Eigenschaften Gottes, das Geheimnis der Geheimnisse.
Sie weiß um die Einheit des Seins, tief im Herzen und in der Welt um uns herum. Sie kann als eine Sanftheit erfahren werden, als die zärtliche Berührung durch eine Liebende, ein warmes Gefühl im Herzen, das von Vertrautheit und Nähe spricht, und auch als größte Energie in der Schöpfung, die Sterne und Galaxien hervorbringt, denn alle Schöpfung ist ein Ausfluss der Liebe. Aber die Liebe offenbart auch, was jenseits der Schöpfung ist – diese unendliche Leere, die vor und nach der Existenz ist. Ein Nirgendwo, ein Nichts, ortlos, spurlos, welches dem Absoluten angehört und manchmal das verborgene Gesicht Gottes genannt wird.
Und dieses Nichts ist auch unser Geliebter, der uns begegnet und mit uns verschmilzt und Ekstase und Seligkeit bringt, wie es Irina Tweedie beschrieben hat:
Es gibt Augenblicke des Einsseins mit dem Geliebten, vollkommene Ekstase und Seligkeit. Das ist das Nichts. Und dieses Nichts liebt dich, antwortet dir, erfüllt dich absolut, und doch ist nichts da. Du verströmst wie ein Fluss, ohne weniger zu werden. Das ist das große mystische Geheimnis, die große Ekstase.22
Hier, in der Leere, ist „die dunkle Stille, in der sich alle Liebenden verlieren.“23 Vernichtet durch die Liebe sind wir „verloren in der Gemeinschaft derer, die sich in Gott verloren haben.“ Der christliche Mystiker Thomas Merton beschreibt dieses Nichts als diesen „unvergleichlichen Punkt,“ der sich nur finden lässt, indem man verloren geht:
Doch für jeden von uns gibt es einen Punkt des Nirgendwo-Seins in der Mitte von Bewegung, einen Punkt des Nichts inmitten des Seins, der unvergleichliche Punkt, nicht durch Einsicht zu entdecken. Wenn du ihn suchst, findest du ihn nicht. Wenn du aufhörst zu suchen, ist er da. Aber du darfst dich ihm nicht zuwenden. Wirst du dir als Sucher bewusst, bist du verloren. Aber wenn du einverstanden bist, verloren zu gehen, wirst du gefunden werden, ohne es zu wissen, eben weil du verloren gegangen bist, denn du bist, endlich, nirgendwo.24
In dieser Leere ist die Liebe reines Potenzial, ungeformt, unmanifest, aber ihrer Göttlichen Essenz entsprechend. Indem sie aus der Leere fließt, wird die Liebe zum unsichtbaren Fundament der Schöpfung und ist im gesamten Leben gegenwärtig, im Nektar trinkenden Kolibri, im Lachen und in den Tränen eines Kindes. Doch in der ungeborenen und unsterblichen Leere vor und nach der Schöpfung kann sie nicht benannt werden. Dies ist die Tiefe der mystischen Reise in Gott, über die sich nur wenig sagen lässt, auch wenn das Herz sie kennt. „Dann kehrt der Pilger nach Hause zurück, in seine Ursprungsheimat … das ist die Welt der Nähe Allahs, das ist, wo die Heimstatt des inneren Pilgers ist, und wohin er zurückkehrt. Dies ist alles, was dargelegt werden kann, was die Zunge zu sagen und der Verstand zu erfassen vermag. Darüber hinaus gibt es keine Kunde, denn darüber hinaus ist das Nicht-Wahrnehmbare, das Undenkbare, Unbeschreibbare.“25
Für den Sufi ist die Liebe der Anfang und das Ende der Reise.26 Die mystische Reise einer Sufi beginnt mit dem Funken göttlicher Liebe, der das Herz zum Gotteserinnern erweckt. Das wendet unsere Aufmerksamkeit von der Welt ab und bringt uns auf die Reise zurück zu Gott, Liebende, die wie ein Eisenspan vom Liebesmagneten angezogen werden. Auf dieser Reise verbrennen die Liebe und das Verlangen unser Ego, unser Gefühl eines eigenständigen Selbst, ein Prozess, den man fanā nennt oder Auslöschung, der zu baqā führt, dem Verweilen in Gott.27 Dies ist die Reise in Gott, auf der das Herz die innere Vereinigung von Liebendem und Geliebten erfährt und auch die göttliche Einheit in der Welt um uns herum. Die Liebe erweckt uns zur Einheit des Seins in der inneren und äußeren Welt und führt zur Erfahrung, dass beide Welten Ausdruck göttlicher Liebe sind. Schließlich, wenn die Liebe allen Schein unserer eigenen Existenz aufgelöst hat, wenn wir „gesichtslos und formlos“, geworden sind, nimmt uns die Liebe in die Leere, ins Nichts, das die wahre Heimat der Mystiker ist. Um diesen „ortlosen Ort“ zu erreichen, diese Reise nach Hause zu machen, folgt der Sufi-Mystiker dem Pfad der Liebe, und Ibn ’Arabi, auch genannt der größte Shaykh, schrieb:
Ich folge der Religion der Liebe: wohin auch immer sich
die Kamele der Liebe wenden, dort ist meine Religion und mein Glaube.28
Fußnoten
- Sufismus oder tasawwuf wird häufig als das Herz des Islams bezeichnet. Manche Quellen sind der Ansicht, dass er seinen Ursprung in der inneren mystischen Koran-Lektüre hat, während andere sagen, er hat sich innerhalb des Islams im 8.-9. Jh. n. Chr. als asketische Strömung gebildet. Das Wort Sufi leitet sich von dem „arabischen Wort für Wolle (suf) ab, die für die grobe Bekleidung verwendet wurde, die die Asketen des Vorderen Orients jahrhundertelang zu tragen pflegten.“ Ernst, Carl: Sufism. Boston, Shambala, 1997
- Übers. von Coleman Barks: The Essential Rumi. New York, Harper Collins, 1995, S., 166
- Zit. aus Massignon: The Passion of Al-Hallaj. Princeton, Universitiy Press, 1982
- Der Text ist in Teilen eine Bearbeitung einer längeren Lesung von Nizami’s Layla und Majnun, siehe: Vaughan-Lee: „Love is a Fire and I am Wood als Sufi-Allegorie Mystischer Liebe“, Sufi Journal, 2011
- Nizami: The Story of Layla and Majnun, hrsg. von R. Gelpke. London, Bruno Cassirer, 1966
Deutsche Ausgabe: Die Geschichte der Liebe von Leila und Madschnun, mit einem Vorwort von R. Gelpke, Unionsverlag, Zürich, 2001, vergriffen - Mathnawi, hrsg. und übers. von R.A. Nicholson, Cambridge, University of Cambridge Press, 1925-1940
Deutsche Ausgabe: Dschalaluddin Rumi: Das Mesnevi. 2 Bände, Chalice Verlag, Xanten 2020, 2021 - Übers. von Charles Upton: Doorkeeper of the Heart, Putney, Vermont, Threshold Books, 1988, S. 34
- Zit. aus Annemarie Schimmel: Mystical Dimensions of Islam, Chapel Hill, University of North Carolina Press, 1975
Deutsche Ausgabe: Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus, Diederichs, Köln, 1992 - Nizami, S. 37
- zit. von Claude Abbas: Quest for the Red Sulphur: The Life of Ibn ‘Arabī, Cambridge, The Islamic Text Society, 1994
- Nizami, S. 44
- zit. von Helmut Ritter in: The Ocean of the Soul, übers. von John O’Kane, Boston, Handbook of Oriental Studies, 2003, S. 384
- Nizami, S. 133
- Nizami, S. 195
- zit. aus A. Schimmel: Mystical Dimensions of Islam, S. 324
- Massignon, Louis: The Passion of a-Hallâj, Band 1, S. 610
- Massignon argumentiert jedoch, dass der wahre Grund für seine Hinrichtung politischer und nicht spiritueller Natur war.
- Rumi, Fragments, Ecstasies, übers. von Daniel Liebert, S. Omega Publications, 1999 S.13-14
- s.o, S. 21
- Whoso Knoweth Himself, Abingdon, Beshara Publications, 1976, S. 3-4. Obwohl es Ibn ‘Arabî zugeschrieben wird, halten viele Wissenschaftler Awhad al-Din Baylani für den Autor
- Ibn ‘Arabī, Seven Days of the Heart, übers. von Pablo Beneito und Stephen Hirtenstein, Oxford, Anqua Publishing
Deutsche Ausgabe: Die sieben Tage des Herzens: Morgen- und Abendgebete des größten Sufi-Meisters für jeden Tag der Woche, Chalice Verlag, Xanten 2020 - Irina Tweedie, zit. in: Traveling the Path of Love, Saying of Sufi Masters, hrsg. von Llewellyn Vaughan-Lee, Inverness, Cal., The Golden Sufi Center 1995
Deutsche Ausgabe: Die Karawane der Derwische – Die Lehren der großen Sufi-Meister, Fischer Verlag, Frankfurt 1997, S. 139 - St. John of Ruysbroeck: The Adornment of Spiritual Marriage, hrsg. von Evelyn Underhill, New York, Dutton & Co, Kap. 37
- Cables to the Ace, aus Collected Poems of Thomas Merton, New Directions, 1980
- Abdul Qadir al-Jilani: The Secrets of Secrets, übers. von Tsun Bayrak al Jerrahi, Cambridge, The Islamic Texts Society, 1992, S. 85
- Das ist versinnbildlicht als „der Tropfen, der das Meer wird“, oder in Rumi’s Worten: „das uferlose Meer, hier endet Schwimmen immer im Ertrinken.“
- Die Praktiken des Pfades, z. B. der dhikr – die Wiederholung des Namens Gottes –, helfen bei dieser Arbeit der inneren Reinigung und Transformation.
- zit. von Stephen Hirtenstein: The Unlimited Mercifier, Oxford, Anqa Publishing, 1999, S. 203, Deutsche Ausgabe: Der grenzenlos Barmherzige, Chalice Verlag, Zürich, 1999, S. 311